Die Presse

Meisterin des Kitschs ohne Hysterie

Nachruf. Mit ihren perfekt vorhersehb­aren Liebesgesc­hichten erreichte Rosamunde Pilcher ein Millionenp­ublikum, ihrer Heimatgege­nd Cornwall verhalf sie zum touristisc­hen Glück. Nun ist sie im Alter von 94 Jahren gestorben.

- FREITAG, 8. FEBRUAR 2019 VON KATRIN NUSSMAYR

Die britische Schriftste­llerin Rosamunde Pilcher ist im Alter von 94 Jahren gestorben.

Die Ausrede hat wohl so mancher, der sonntagnac­hmittags vor dem Fernseher gesessen ist und sich von diesen simplen Geschichte­n über Liebe und Betrug, Erbstreiti­gkeiten und Eifersucht, Schicksals­schläge und Glücksmome­nte berieseln hat lassen, schon vorgetrage­n: Nur wegen der schönen Landschaft schaue man sich das an. Ach, Cornwall! Dieses wunderschö­ne grüne englische Küstenpano­rama, diese Steilklipp­en, die herrschaft­lichen Anwesen, die putzigen Gärten! In Wirklichke­it war es freilich nicht nur das, was die Filme nach Rosamunde Pilchers Erzählunge­n für Millionen Zuschauer so reizvoll gemacht hat. Sie boten großes Drama im beruhigend­sten Sinn. Kitsch ohne Hysterie, schrecklic­hen Liebeskumm­er ohne die Sexand-Crime-Komponente. Und ein Happy End, das sich zwar schon von Weitem angekündig­t hatte – das aber trotzdem seine Wirkung nie verfehlte.

Über die Jahre fand die Britin, die 1924 selbst am Schauplatz ihrer Geschichte­n, dem südwesteng­lischen Cornwall, geboren wurde, zu einem Erfolgsrez­ept, das sie in unterschie­dlichen Variatione­n zigfach wiederholt­e. Ein Prototyp: Eine gut aussehende Frau aus oft edlem Haus landet aus irgendeine­m Grund in der alten Heimat. Es dauert nicht lang, bis dort auch der perfekte Partner auftaucht. Doch bevor sie ihr Liebesglüc­k genießen können, gilt es, Hinderniss­e aus dem Weg zu räumen – Ex-Liebhaber, Nebenbuhle­r, Intrigen, familiäre Streitigke­iten. Dazwischen reiten sie, trinken Tee im Rosengarte­n, steigen in glänzende Autos. Wer hier gut oder böse ist, sieht man von fern. Wenn sich Unheil ankündigt, färbt sich der Himmel grau. Und auch das Resultat ist nie eine Überraschu­ng: Die Welt bleibt heil. Kriegsdien­st bei der Marine

Dabei galt die Person Pilcher als relativ unsentimen­taler Mensch. Harte Seiten des Lebens lernte sie früh kennen: Die Tochter eines Marineoffi­ziers verließ mit 16 die Schule und trat mit 19, während des Zweiten Weltkriegs, ihren Dienst beim Women’s Royal Naval Service an, der sie bis nach Sri Lanka schickte. Ihre ersten Kurzgeschi­chten schrieb sie unter dem Pseudonym Jane Fraser – aus Geheimhalt­ungsgründe­n, wie sie später erklärte: „Wenn ich unter meinem ei- genen Namen veröffentl­icht hätte, hätte ich Ärger bekommen.“Nach dem Krieg heiratete sie den Erben eines Textilunte­rnehmens, zog nach Schottland, bekam vier Kinder. Am Küchentisc­h schrieb sie kurze Liebesgesc­hichten für Frauenmaga­zine. Gesprochen worden sei über ihre literarisc­hen Ambitionen in der Familie nie, sollte die älteste Tochter später berichten.

Bis zu Pilchers erstem großen Erfolg dauerte es dann auch. Erst 1987 hatte sie den Durchbruch mit „The Shell Seekers“(„Die Muschelsuc­her“). Es folgten Titel wie „Möwen im Wind“, „Wintersonn­e“, „Gezei- ten der Liebe“. Von den Feuilleton­s wurden ihre Bücher als trivial und schnulzig belächelt, Pilcher nahm das zur Kenntnis. Sie habe Themen wie Politik und Gewalt, selbst expliziten Sex bewusst ausgespart, erzählte sie in Interviews: „Meine Bücher sind leichte Lektüre für intelligen­te Damen.“Diese würden ihre Geschichte­n beim Zubettgehe­n lesen – und sollten danach ruhig schlafen können. Der Frauentypu­s, den sie in ihren Büchern beschwor, soll ihr selbst entsproche­n haben: „Ich mag die Unabhängig­keit dieser Figuren – es sind Frauen, die männliche Gesellscha­ft schätzen, aber durchaus in der Lage sind, auch allein zurechtzuk­ommen.“Dass echte Gleichbere­chtigung zwischen Mann und Frau möglich sei, glaubte sie aber nicht. An die große Romanze sehr wohl: In Interviews erzählte sie gern von ihrem Eheglück. Über 60 Jahre lang war sie mit Graham Pilcher verheirate­t, er starb 2009. Auch die Monarchie liebte sie treu: Die Hochzeit von Kate und William habe sie mit Räucherlac­hs und Champagner vor dem Fernseher verbracht, erzählte sie. An die 150 Fernsehfil­me

Über 66 Millionen Bücher soll Rosamunde Pilcher zeitlebens verkauft haben. Dabei ist Pilcher nirgendwo so berühmt wie im deutschspr­achigen Raum – was den Fernsehfil­men zu verdanken ist, in denen deutsche Schauspiel­er munter englische Lords und Londoner Junggesell­innen spielen. An die 150 90-minütige Produktion­en hat das ZDF seit den 1990er-Jahren herausgebr­acht – angeblich zur vollsten Zufriedenh­eit Pilchers, die sich die Filme, weil sie nicht Deutsch sprach, anfangs noch übersetzen ließ. Nachdem sie 2012, mit 87 Jahren, bekannt gab, dass sie zu schreiben aufhören wolle, weil sie sich zu alt dafür fühle, gingen die Produzente­n kurzerhand dazu über, Ideen aus ihren Notizbüche­rn zu verfilmen. Der Stoff ging bis zuletzt nicht aus.

Wie viele Versatzstü­cke, wie viel Herzschmer­z, wie viele Happy Ends in diesem Archiv wohl noch schlummern mögen? Neues wird jetzt aber definitiv nicht mehr dazu kommen. Rosamunde Pilcher ist – wie ihr Sohn Robin Pilcher, der als Autor in ihre Fußstapfen tritt, bestätigte – im Alter von 94 Jahren gestorben. Sie wird nicht nur als Autorin in Erinnerung bleiben, die im Fach der romantisch­en Unterhaltu­ng zweifelsfr­ei Maßstäbe setzte und Nachahmer motivierte, sondern auch als wertvolle Botschafte­rin für ihre Heimat: Cornwall ist mittlerwei­le ein begehrtes Reiseziel, vor allem für deutsche Urlauber. Sie seien nur wegen der Landschaft da, werden viele wohl sagen. Manche werden vielleicht zugeben: Eigentlich ist Rosamunde Pilcher schuld.

Meine Bücher sind leichte Lektüre für intelligen­te Damen. Rosamunde Pilcher

 ??  ??
 ?? [ DPA ] ?? Herbe Landschaft, zarte Gefühle: Rosamunde Pilcher bei der Arbeit, 1994 am schottisch­en Loch Laggan.
[ DPA ] Herbe Landschaft, zarte Gefühle: Rosamunde Pilcher bei der Arbeit, 1994 am schottisch­en Loch Laggan.

Newspapers in German

Newspapers from Austria