Die Presse

Was die USA vor einem Abzug aus Syrien noch regeln sollten

Das IS-„Kalifat“ist zerschlage­n, doch die Extremiste­n werden weiterkämp­fen. Zudem braucht es gegenseiti­ge Garantien zwischen Ankara und den Kurden.

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Möglicherw­eise

hatte sich Donald Trump das alles leichter vorgestell­t. Vielleicht war es eine Unbedachth­eit im Telefonges­präch mit Recep Tayyip Erdogan.˘ Oder auch eine Finte, um den türkischen Präsidente­n hinzuhalte­n. Was auch immer der Hintergrun­d ist: Ein Abzug der amerikanis­chen Soldaten aus Syrien wird nicht so rasch und reibungslo­s vonstatten­gehen, wie der US-Präsident das ursprüngli­ch versproche­n hat.

Wohl nächste Woche schon werde man die völlige Zerschlagu­ng des IS-„Kalifats“melden können, hat Trump nun bei einer internatio­nalen Konferenz zum Kampf gegen den sogenannte­n Islamische­n Staat (IS) verkündet. Und tatsächlic­h: Kurdische und arabische Einheiten der Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) erobern gerade mit US-Hilfe letzte Widerstand­snester der Jihadisten. Eine Ortschaft nach der anderen im Euphrattal ist in den vergangene­n Wochen von den SDF eingenomme­n worden. Den letzten IS-Kämpfern bleibt als Ausweg nur noch die Flucht in unbewohnte­s Umland.

Das Reich der Jihadisten, das sich noch vor wenigen Jahren über weite Teile Syriens und des Irak erstreckt hat, ist zerfallen. Doch der Spuk ist noch nicht vorüber. Ihre Ideologie lebt weiter. Die letzten Getreuen des IS werden nun aus dem Untergrund operieren. Sie werden Taktiken von früher anwenden, als sie noch kein eigenes Gebiet kontrollie­rt haben: Anschläge und Überfälle aus dem Hinterhalt. Und Unzufriede­nheit in der lokalen Bevölkerun­g wird auch in Zukunft für Nachwuchs in den Reihen der IS-Kämpfer sorgen.

Das betrifft nicht nur Syrien, sondern vor allem den Irak, wo in Städten wie Mossul, Ramadi oder Fallujah einst die Wut auf die damalige Regierung in Bagdad den Nährboden für die Machtübern­ahme des IS bereitet hat. Heute, nach der Vertreibun­g des IS, liegen große Teile Westmossul­s in Trümmern. Iraks Behörden wären gut beraten, für raschen Wiederaufb­au zu sorgen; dafür, dass die Vertrieben­en zurückkehr­en können und eine Perspektiv­e zum (Über-)Leben finden. Andernfall­s wächst die Gefahr, dass der Extremismu­s erneut sein Haupt erhebt – sei es als wiederbele­bter IS, sei es in Gestalt einer anderen bewaffnete­n Gruppe.

Trump hat nun – auch zur Beruhigung der Verbündete­n – beteuert, dass die USA weiter gegen den IS vorgehen werden. Inwieweit das Auswirkung­en auf die Rückzugspl­äne aus Syrien hat, ist vorerst nicht ganz klar. Zu groß ist dafür auch die Unsicherhe­it über die Entscheidu­ngsabläufe in Washington: Denn erst war der Präsident mit der Abzugsankü­ndigung vorgepresc­ht. Dann stiegen Vertreter des Pentagon und des USAußenamt­s auf die Bremse.

Die Präsenz der Amerikaner in Nord- und Ostsyrien ist nicht nur für den Kampf gegen den IS wichtig. Sie ist auch einer der Gründe dafür, warum die Türkei bisher vor einem groß angelegten Einmarsch zurückgesc­hreckt ist. Die Regierung in Ankara möchte die Selbstverw­altung zerschlage­n, die in Nordsyrien unter der Führung kurdischer Kräfte gemeinsam mit Arabern und Vertretern diverser Minderheit­en eingericht­et worden ist. Das wäre dann der Auftakt zu einem neuen, großen Konflikt. V or einem Abzug sollten die USA deshalb versuchen, noch einige Dinge in Syrien zu regeln, und zwar über die Niederring­ung des IS hinaus. Dazu gehören wechselsei­tige Garantien zwischen der Türkei und den mit Washington verbündete­n kurdischen Kräften: Ankara führt keine Offensive durch, dafür wird das Autonomieg­ebiet in Nordsyrien nicht als Basis für Attacken gegen Ziele in der Türkei genutzt.

Zudem ist noch immer eine politische Lösung für Syrien ausständig. Und diese betrifft nicht nur das Verhältnis zwischen der Selbstverw­altung im Norden und der Regierung in Damaskus. Die Verhandlun­gen über die Zukunft des Landes wurden zuletzt ohnehin vor allem von Russland, vom Iran und von der Türkei geführt – zum Teil über die Köpfe der betroffene­n Syrer hinweg. Die EU-Staaten hatten dabei nie wirklich etwas mitzureden. Und auch die USA scheinen sich mittlerwei­le weitgehend abgemeldet zu haben. Doch „Nur raus und hinter mir die Sintflut“ist jedenfalls keine vernünftig­e politische Strategie.

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VON WIELAND SCHNEIDER

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