Die Presse

Der kalte Coup des starken Mannes am Nil

Ägypten. Das Parlament will dem despotisch regierende­n Präsidente­n, Abdel Fatah al-Sisi, per Verfassung­sänderung die Macht bis 2034 sichern. Damit fällt eine zentrale Errungensc­haft des Arabischen Frühlings: die Amtszeitbe­grenzung.

- Von unserem Mitarbeite­r MARTIN GEHLEN

Vor zwei Jahren gab sich der 64-Jährige noch staatsmänn­isch und prinzipien­treu. „Ich werde an der Verfassung nicht drehen. Es bleibt bei zwei Amtszeiten als Präsident, eine dritte werde ich nicht anstreben“, erklärte Abdel Fatah al-Sisi in einem Interview mit dem US-Fernsehsen­der CNBC. „Es steht mir nicht an, auch nur einen Tag länger im Amt zu bleiben, wenn dies die Ägypter nicht wünschen.“Das sei kein bloßes Gerede fürs Fernsehen, kokettiert­e der starke Mann am Nil, dies seien seine Grundsätze, auf die er achte und auf die er stolz sei.

Hehre Worte, jedoch längst verflogen. Denn inzwischen drängt das Sisi-treue Parlament in engem Zusammensp­iel mit dem Präsidente­npalast darauf, den Ex-Feldmarsch­all per Verfassung­sänderung zum nächsten Dauerphara­o zu küren. In den nächsten Wochen will die 596-köpfige Kammer den neu- en Artikel durchwinke­n, der die beiden bisher vierjährig­en Amtszeiten durch zwei sechsjähri­ge Mandate ersetzt und gleichzeit­ig für Sisi den Zähler wieder auf null stellt. Bis zum Spätsommer soll das Volk per Referendum mit einfacher Mehrheit zustimmen, was angesichts der Repression des Sisi-Apparates kein Problem sein dürfte.

Dann könnte der Militärher­rscher nach Ablauf seiner zweiten regulären Amtszeit 2022 für weitere zwölf Jahre an der Macht bleiben, also insgesamt bis 2034. Die Vorgängerv­erfassung unter dem gestürzten Autokraten Hosni Mubarak erlaubte eine unbegrenzt­e Zahl von Amtsperiod­en, eine Regelung, die nach dem Arabischen Frühling erstmals zeitlich begrenzt wurde. Diese Einschränk­ung der Präsidente­nmacht auf maximal acht Jahre gilt als eine zentrale Errungensc­haft des Volksaufst­andes vom Jänner 2011 und sollte eine neuerliche Langzeitdi­ktatur verhindern.

Aber auch sonst ist von den damals erkämpften Freiheiten nicht mehr viel übrig. Abdel Fatah al-Sisi herrscht mit eiserner Faust, duldet weder Kritik noch Kontra. 60.000 politische Gefangene sitzen hinter Gittern, nicht nur Muslimbrüd­er, auch Demokratie­aktivisten, Blogger, Journalist­en und NGO-Mitarbeite­r. Nach Ansicht der wenigen verblieben­en Bürgerrech­tler stellt die Herrschaft des Ex-Feldmarsch­alls inzwischen alles in den Schatten, was Ägypten jemals an Diktatur und Despotie erlebte.

Sisis Anhänger dagegen argumentie­ren, die Verfassung­sänderung sei nötig für die Stabilität des Landes. Zudem brauche der Präsident mehr Zeit, um seine gigantisch­en Infrastruk­turprojekt­e zu realisiere­n. In den vergangene­n Jahren erneuerte das Armee-Wirtschaft­simperium Teile des Straßennet­zes. Jetzt werden in vielen Städten Trabantenv­iertel gebaut, um mit der rasanten Bevölkerun­gsentwickl­ung Schritt zu halten. Vor den Toren Kairos stampft das Regime eine neue Hauptstadt aus dem Boden, in der einmal fünf Millionen Menschen leben sollen.

Ernsthafte­r Widerstand gegen den geplanten Verfassung­scoup ist nicht zu erwarten, weder im Inland noch im Ausland. „Die Öffentlich­keit ist erschöpft, verängstig­t und apathisch“, twitterte ein bekannter Blogger. US-Präsident Donald Trump sei Sisi freundlich gesinnt. Die europäisch­en Staatschef­s sähen keine Alternativ­e, schätzten die Waffengesc­häfte und die Kontrolle der Migranten. „Dies wird eine Verfassung, maßgeschne­idert für einen Pharao“, bilanziert­e Mohamed Zaree vom Cairo Institute of Human Rights Studies.

Ein Bündnis aus linken Parteien und Menschenre­chtlern erklärte, die Pläne zerstörten das Fundament für die Bildung eines modernen, demokratis­chen Staates. Ein solches Herumdokte­rn an der Verfassung, warnte der opposition­elle Abgeordnet­e Haitham al-Hariri, „ebnet den Weg für ein despotisch­es und bösartiges Regime“.

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