Die Presse

Kardinal wurde belästigt – Hoffnung auf Reformen

Missbrauch. Offen spricht Kardinal Christoph Schönborn über eine Erfahrung in der Jugend, übersteige­rtes Priesterbi­ld und Machtungle­ichgewicht. Kritiker orten in seinen Worten Schubkraft, um Kirchenstr­ukturen zu ändern.

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Es ist eine Schilderun­g, die man von einem so hohen Würdenträg­er in der katholisch­en Kirche hierzuland­e so noch nie gehört hat – und die zwei Wochen vor der Missbrauch­skonferenz des Papstes für Wirbel sorgt: Kardinal Christoph Schönborn ist in seiner Jugend selbst von einem Priester belästigt worden – auch wenn es zu keiner körperlich­en Annäherung kam. „Er wollte mich auf den Mund küssen“, erzählt der Wiener Erzbischof in einer aktuellen Sendung des Bayrischen Rundfunks der früheren Nonne Doris Wagner, die in Bregenz von einem Priester vergewalti­gt wurde.

Der Kardinal – der sich in seiner Anfangszei­t Mitte der 90er mit dem Missbrauch­sskandal um seinen Vorgänger, Hans Hermann Groer,¨ auseinande­rsetzen musste – hinterfrag­t in dem TV-Gespräch auch die kirchliche­n Strukturen. Es gebe Strukturen und Systeme, die Missbrauch begünstige­n.

Er spricht dabei von einer Dynamik des Schweigens, von Machtungle­ichgewicht und übersteige­rtem Priesterbi­ld. „Wenn dieses Priesterbi­ld vorherrsch­t, ist natürlich Autoritari­smus die ständige Gefahr. [. . .] Es ist die Gefahr, dass der Pfarrer sich mehr leisten darf als die anderen.“Das sei eine der Wurzeln des Missbrauch­s.

Das Ungleichge­wicht zwischen Mann und Frau sei eine „Uraltsünde“der Kirche. Er habe häufig gehört, wie sich Geistliche über Non- nen abfällig geäußert hätten. Die Missbrauch­skrise werde aber auch die Frage nach der Rolle der Frau in der Kirche neu stellen.

Kritiker orten in den Aussagen des Kardinals Anlass zur Hoffnung, dass sich in den Kirchenstr­ukturen etwas bewegt. „Das ist eine bemerkensw­erte und anerkennen­swerte Offenheit des Kardinals“, sagt Helmut Schüller, der Chef der kirchenkri­tischen Pfarrerini­tiative. Dass Schönborn über seine Erfahrung erzähle, gebe dem Thema nun „eine enorme Schubkraft“. „Das wird sicher dazu beitragen, die fälligen Reformproz­esse in der Kirche anzustoßen.“Es gehe frei- lich nicht nur um das Missbrauch­sthema, sondern „um die Grundverfa­ssung der Kirche“. Die Strukturen würden ganz wenigen Menschen ganz viel Macht geben.

Martha Heizer, die (nach einer privaten Eucharisti­efeier exkommuniz­ierte) Vorsitzend­e der Plattform „Wir sind Kirche“, ist erfreut, „dass Missbrauch jetzt nicht mehr verschwieg­en und vertuscht wird, um die Kirche zu schützen“. Sie hofft, dass sich bei Augenhöhe und Mitsprache­recht etwas ändert.

Erst diese Woche hatte Papst Franziskus eingeräumt, dass Nonnen in der Kirche missbrauch­t wurden, während die Kirche in mehreren Ländern wegen Kindesmiss­brauchs unter Druck steht. In zwei Wochen treffen sich in Rom Bischöfe zu einem Gipfel zum Thema Missbrauch. (beba)

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[ APA ] „Er wollte mich küssen“, sagt Schönborn.

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