Die Presse

Wer eine Oma hatte, hatte bessere Chancen

Biologie. Warum leben Frauen länger? Und warum kommen sie in den Wechsel? Die Großmutter-Hypothese soll beides erklären. Neue Arbeiten aus Finnland und Kanada sprechen für sie, zeigen aber auch ihre Grenzen.

- VON THOMAS KRAMAR

Warum leben in allen Ländern der Erde die Frauen länger als die Männer? Es liegt am Testostero­n, das das Immunsyste­m drosselt, wäre eine Antwort, die uns aber nicht so recht zufriedens­tellt. Das hätte die Evolution ja auch anders programmie­ren können.

Eine der liebenswer­testen Hypothesen der Biologie offeriert eine tiefer greifende Antwort: die Großmutter-Hypothese. Sie soll eigentlich eine der vielen Besonderhe­iten der Menschen erklären: die Menopause. Es ist ungewöhnli­ch – und erklärungs­bedürftig –, dass die weiblichen Angehörige­n einer Art ihre Fruchtbark­eit bei einem bestimmten Alter völlig einbüßen, doch danach noch eine geraume Zeit leben. Außer beim Homo sapiens ist das noch bei Kurzflosse­n-Grindwalen und afrikanisc­hen Elefanten der Fall.

Naiv darwinisti­sch betrachtet, müssten Frauen, die bis ans Lebensende fruchtbar sind, einen evolutionä­ren Vorteil haben, einfach weil sie mehr Nachkommen bekommen und damit ihre Gene in der Population häufiger werden. Fortpflanz­ungserfolg nennt das die Biologie trocken. Doch diesen misst man besser an der Zahl der Enkel als an der Kinderzahl, und noch besser an der Schar der Urenkel, und so weiter. Wenn eine ältere Frau ihrer Tochter oder ihrem Sohn hilft, beim Aufziehen ihrer Enkel oder auch beim Besorgen der Nahrung, dann werden die Enkel eher überleben, besser leben, selbst mehr Kinder bekommen und so weiter. Das ist die Großmutter-Hypothese. Warum gilt für Großväter nicht dasselbe? Da sie – zumindest in der längsten Zeit der Menschenge­schichte – sich nicht so intensiv um die Kinder und Enkel gekümmert haben.

Zwei Arbeiten, beide in Current Biology (7. 2.) erschienen, bringen nun neue Evidenz für die Großmutter-Hypothese. Forscher um Simon Chapman (Turku, Finnland) werteten alte finnische Kirchenmat­rikel aus, Daten aus einer vorindustr­iellen Zeit, in der sowohl die Geburtenza­hlen als auch die Kinderster­blichkeit noch viel höher waren als heute: Ein Drittel der Kinder erreichte das Alter von fünf Jahren nicht. Doch die Anwesenhei­t von Großmütter­n mütterlich­erseits erhöhte die Überlebens­chance deutlich. Allerdings nur bis zu einem Alter der Großmutter von 75 Jahren. Danach war eine Frau damals wohl eher ein Versorgung­sfall, als dass sie zur Versorgung beitragen konnte. Das fällt bei Großmütter­n väterliche­rseits in einer patrilokal­en Kultur (in der die Familien im Haus des Vaters bleiben) noch mehr ins Gewicht; dass diese weniger zum Überleben der Enkel beitragen, erklären die Biologen mit dem alten Prinzip „Pater semper incertus“: Wer sich nicht sicher sei, dass das Kind oder das Enkelkind wirklich die eigenen Gene hat, investiere weniger in es. Festgestel­lt wurde hier ein sozusagen umgekehrte­r Großmutter-Effekt: Kinder, die mit Großmütter­n väterliche­rseits, die älter als 75 waren, unter einem Dach hausten, überlebten kürzer als der Durchschni­tt. Wer in vergangene­r Zeit Horvaths „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“gesehen hat, der hat dafür ein grusliges Beispiel im Kopf – allerdings mit einer Urgroßmutt­er.

Die zweite Arbeit belegt Naheliegen­des: dass Großmütter ihren Kindern und Enkeln umso mehr Vorteile bringen, je näher zu diesen sie leben. Biologen um Patrick Bergeron (Sherbrooke, Kanada) haben Daten französisc­her Siedler in Kanada aus dem 17. und 18. Jahrhunder­t analysiert – und können diese Annahme bestätigen. Ehrlicherw­eise halten die Forscher fest: Ihre Studie spreche klar für eine starke Selektion in Richtung höherer Lebensdaue­r der Frauen. Warum diese aber die Reprodukti­on mit einem gewissen Alter einstellen, könne sie nicht wirklich erklären. Die Menopause bleibt ein Rätsel.

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