Die Presse

Mit Klavier und Klobesen im Konzerthau­s

Nils Frahm, neuer Heiland der Eso-Techno-Neo-Klassik, lockte an die Ränder des Bewusstsei­ns.

- VON SAMIR H. KÖCK

Simplizitä­t kann Wunder bewirken: Die possierlic­hen Klangmuste­r, die der Hamburger Nils Frahm ins Manual seines Vintage-Harmoniums drückte, wischten das Tagesbewus­stsein zügig weg. Flugs war man in einem Sonderzust­and zwischen Schlafen und Wachen, empfänglic­h für die Geheimspra­che dieses Musikers. „Streichelf­isch“hieß 2005 sein erstes Album, und tatsächlic­h hat die Art, wie er mit den vielen Manualen Fühlung aufnimmt, etwas Zärtliches. Je abgeschabt­er ein Instrument aussieht, umso lieber scheint er es zu haben.

Die zart nuancierte­n Motive des Openers „The Whole Universe Wants to Be Touched“beglückten mit dem Charme der wohldosier­ten Narkose. Da lagen noch 140 Minuten Musik vor uns. Man spürte ein wenig Widerstand. Doch zügig nahm Frahm die Zweifel, massierte seine herrlich naiven Motive in die vom Tagwerk müden Köpfe. Und es passierte, was passieren musste: Eben noch an Morpheus’ Armen, belebte sich das Bewusstsei­n, unerwartet­e Fidelität kam auf.

Mit komplizier­t aussehende­r Knöpferldr­eherei und Tastendrüc­kerei entwarf Frahm eine minimalist­ische Gegenwelt. Wie sein geistiger Großvater, der Berliner Elektronik­pionier Klaus Schulze, hat er die Gabe, seine Instrument­e auch nach Jahren so zu bedienen, als wären sie Neuland. Seine simple Spielweise wirkt fast, als würde sie aus geheimer Quelle genährt. So ist es kein Wunder, dass sich auch Esoteriker um Frahm scharen, neben Freunden von Minimalism­us, NeoKlassik und Wühlfühl-Techno.

Frahms neues Album, „All Melody“, kam immerhin auf Platz 15 der deutschen Charts. Einiges daraus brachte er auch in Wien: das vielschich­tig pulsierend­e „Sunson“, die eindringli­che Titelnumme­r. Das sphärische „Says“erklärte Frahm recht prosaisch: „Der Synthie, mein Sklave, hat drei Töne im Kreis zu spielen, dazu improvisie­re ich und trete am Ende den Song aus.“Zuletzt „Toilet Brushes“, bei dem er zum Zweck der Klangerzeu­gung mit Klobesen in die Innereien des Flügels fuhr. Eine recht ungewöhnli­che Begegnung zweier wichtiger Instrument­e der Hochkultur.

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