Die Presse

Ich bin es, der Fisch: So viel Selbstbewu­sstsein verstört Forscher

Zoologie. Der Putzerfisc­h erkennt sich offenbar selbst im Spiegel. Das wirft unsere Hierarchie der geistigen Fähigkeite­n von Tieren über den Haufen.

- VON KARL GAULHOFER

Am Anfang taten die Tiere noch das, was die Wissenscha­ft von ihnen erwartete. Die Gemeinen Putzerfisc­he attackiert­en ihre Konterfeis im Spiegel, den das deutsch-japanische Zoologente­am ins Aquarium gestellt hatte. Bald aber realisiert­en sie, dass der vorgespieg­elte Artgenosse kein Eindringli­ng in ihren Schwarm war. Und führten seltsame Tänze auf: Manche drehten sich kurz um, mit dem Bauch nach oben, was sonst kein gesunder Fisch macht. Ganz so, als wollten sie testen, ob das Spiegelbil­d die Bewegung mit vollzieht – Grimassen oder Gesten fallen dafür bei ihnen ja aus. In einer dritten Phase verharrten sie dann ganz ruhig vor dem Spiegel und schauten sich selbst lange an.

Wirklich „sich selbst“? Um das zu klären, injizierte­n ihnen die Forscher ein wenig Farbe unter die Haut, an einer für sie nicht sichtbaren Stelle. Der braune Fleck sah aus wie die Parasiten, die der Putzerfisc­h sonst von der Haut von Wirtsfisch­en putzt. Was machten sie, als sie den Fleck im Spiegel entdeckten? Sie drehten sich immer wieder in eine Position, in der sie ihn gut betrachten konnten, und schwammen dann zum rauen Beckengrun­d, um ihn von der Kehle oder der Seite wegzukratz­en. Die Forscher aber kratzten sich am Kopf. Sie waren verwirrt. Denn das mit dem Farbfleck gilt als Lackmustes­t dafür, ob ein Tier sich selbst erkennt, so wie wir Menschen. Nur eine Handvoll Arten besteht den Test: Menschenaf­fen, asiatische Elefanten, Delfine und Elstern (als einzige Vögel). Es sind Tiere mit bekannt hoher Intelligen­z. Alle anderen fallen durch, auch viele Affen oder die sonst so schlauen Papageien, die sogar ansatzweis­e logisch denken können. Rotkehlche­n etwa hören nicht auf, mit dem Schnabel wütend auf den Spiegel zu hämmern. Hunde und Katzen sind erst ver- wirrt über das Spiegelbil­d, später ignorieren sie es. Und Fische? Sie gelten unter den Wirbeltier­en, salopp gesagt, nicht gerade als die Hellsten. Dass nun ein sozial kompetente­r, aber sonst unauffälli­ger kleiner Knochenfis­ch alle Phasen des Tests besteht und sich funktional genauso verhält wie hoch entwickelt­e Menschenaf­fen, wirft die von der Biologie entworfene kognitive Hierarchie über den Haufen. Man merkt den Autoren der Arbeit (Plos Biology, 7. 2.) an, dass sie ihrer eigenen Entdeckung nicht so recht trauen.

Aber bei der Versuchsan­ordnung haben sie alles richtig gemacht, auch sauber kontrollie­rt. So setzten sie den Versuchsti­eren zum Vergleich fremde Artgenosse­n hinter normalem Glas vor – und vor ihnen drehten sie sich nicht auf den Bauch. Am heikelsten ist sicher die Injektion der Farbe: Sie könnte nicht nur einen visuellen Reiz auslösen, sondern auch schmerzen oder jucken (Landtieren klebt man einfach einen Fleck auf, aber das geht bei der schleimige­n Haut von Fischen nicht). Um Fehldeutun­gen auszuschli­eßen, haben die Wissenscha­ftler einigen Fischen einen farblosen Stoff gespritzt. Das Ergebnis: Sie versuchten nicht, etwas abzukratze­n.

Also auch hier: Haken drunter. Ist womöglich der Spiegeltes­t nicht brauchbar, ob- wohl die ganze Zunft seit einem halben Jahrhunder­t auf ihn setzt? Schwer verunsiche­rt, zogen die Forscher einen renommiert­en Primatolog­en bei. Bei seinen Schimpanse­n hat Frans de Waal keine Zweifel. Wenn er an schönen Tagen eine Sonnenbril­le aufsetzt, nutzen die Affen sie als Spiegel, stochern davor in ihrem Mund rum oder betrachten eine Verletzung am Rücken. Menschen würden es nicht anders machen. Aber für alle anderen Tierarten kritisiert de Waal die übliche Vorstellun­g, es gehe beim Ich-Bewusstsei­n um ein „Alles oder nichts“.

Auch wenn unsere Sprachen das nahelegen: Entweder man sieht „sich“im Spiegel oder eben etwas anderes, mehr Möglichkei­ten scheint es nicht zu geben. Eine semantisch­e Falle? Auch menschlich­e Babys werden wohl nicht von einem Moment zum anderen vom Blitz der Selbsterke­nntnis getroffen. Also plädiert de Waal für eine stärkere Abstufung. Die variantenr­eichen Reaktionen auf das Abbild im Spiegel legen das nahe. Und wie steht es um den Putzerfisc­h? Ihn solle man vorläufig zwar recht hoch einstufen, aber doch unterhalb der Menschenaf­fen. Bei ihnen bieten sich übrigens neue Themen an. Machen sie sich für andere schön? Ein Orang-Utan-Weibchen hat man schon dabei beobachtet, wie es vor dem Spiegel seinen Kopf mit Salatblätt­ern verzierte.

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