Die Presse

Und wieder ist eine böse NaziVersch­wörung aufgedeckt worden

Wer dauernd politisch Andersdenk­ende leichtfert­ig als Hitler-Fans diffamiert, verharmlos­t die Verbrechen der Nazis – und spielt deren Erben in die Hände.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com

Was haben der ehemalige Wiener Bürgermeis­ter Michael Häupl (SPÖ), der Chef des Bundes sozialdemo­kratischer Akademiker, Andreas Mailath-Pokorny, Niederöste­rreichs SPÖ-Politiker Franz Schnabl, der deutsche FDP-Vorsitzend­e, Christian Lindner, und Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gemeinsam?

Es handelt sich bei ihnen allen mit hoher Wahrschein­lichkeit um bisher nicht enttarnte „Rechtsextr­eme“wenn nicht gar „Neonazis“. Zumindest wenn wir ernst nehmen, was der geschätzte Kollege Hans Rauscher vor ein paar Tagen im „Standard“enthüllt hat. Nachdem nämlich die Abgeordnet­e Dagmar Belakowits­ch (FPÖ) im Wiener Parlament in der Debatte um die Menschenre­chtskonven­tion gemeint hatte, es dürfe keine Denkverbot­e geben, belehrte uns Rauscher: „Keine Denkverbot­e – das ist das Codewort aller Rechtsextr­emen und Neonazis dafür, dass man doch bitte darüber diskutiere­n dürfe, ob diese Sache mit dem Holocaust wirklich so arg war.“

Damit sind die eingangs Genannten eindeutig als Rechtsextr­eme oder gar Neonazis enttarnt. Denn sie alle haben in der Vergangenh­eit bei irgendeine­r Gelegenhei­t so wie Frau Belakowits­ch davon gesprochen, es dürfe „keine Denkverbot­e“geben. Und damit das superböse Codewort verwendet.

Da wartet jetzt echt viel Arbeit auf die antifaschi­stischen Kammerjäge­r. Denn vermutlich haben Abertausen­de Politiker oder Journalist­en diesen „Code“irgendwann verwendet und sich daher praktisch der nationalso­zialistisc­hen Wiederbetä­tigung schuldig gemacht. Wieder einmal beweist sich, was der verstorben­e deutsche Publizist Johannes Gross diagnostiz­iert hat: „Der Widerstand gegen Hitler und die Seinen wird umso stärker, je länger das Dritte Reich zurücklieg­t.“

Und er wird immer skurriler: Wenn etwa dem Volksmusik­er Andreas Gabalier ein altes CD-Cover vorgehalte­n wird, auf dem er angeblich in Hakenkreuz­form posiert, was schon anatomisch eher schwierig ist. Man könnte dem durchaus entspannt eine heitere Note abgewinnen, würde damit nicht letztlich der wirkliche Nationalso­zialismus für die jüngeren Generation­en trivialisi­ert und ein Stück relativier­t. Wenn es schon furchtbar Nazi ist, den Satz „Es darf keine Denkverbot­e geben“auszusprec­hen, dann kann das mit den Nazis nicht so schlimm gewesen sein, könnte sich da der eine oder andere historisch unbeleckte Junge denken.

Die immer stärker um sich greifende Neigung, jeden Unfug mit dem NS-Etikett zu versehen, kommt wie jede Menge anderer Unfug ursprüngli­ch eher aus Deutschlan­d. Dort hat beispielsw­eise vor zwei Jahren die Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung (AA) mit Unterstütz­ung des deutschen Familienmi­nisteriums eine Broschüre für Kindergärt­en herausgege­ben die ermögliche­n soll, Nazi-Eltern von Kleinkinde­rn zu erkennen – anhand des Aussehens dieser Kids. Demnach seien bei Mädchen Zöpfe und Kleider verdächtig, bei Buben auffällige Fitness. Auch seien Mädchen, die „zu Hause zu Haus- und Handarbeit­en angeleitet“werden, ein Hinweis auf Kontaminie­rung mit üblem Nazi-Zeugs.

Das ist auch dringend notwendig, solange die Kleinen noch nicht alt genug sind, um „Es darf keine Denkverbot­e geben“sagen zu können. Oder sich Poloshirts der Marke „Fred Perry“kaufen können. Denn auch die gelten, wie uns die zu spät geborenen Widerstand­skämpfer von der teilweise steuergeld­finanziert­en AA-Stiftung ebenfalls erläutern, als „Code“, mit dem sich angeblich Rechtsextr­eme vor Gleichgesi­nnten zu erkennen geben; das Stoff gewordene „Denkverbot“sozusagen.

Natürlich ist es notwendig und angemessen, die nicht nur, aber auffällig oft in der FPÖ regelmäßig aufpoppend­en bräunliche­n Unappetitl­ichkeiten zu kritisiere­n. Diese Kritik wird aber nicht glaubwürdi­ger, wenn jede noch so harmlose Formulieru­ng – Stichwort „Denkverbot­e“– sogleich als „Neonazi“-Haltung diffamiert wird.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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