Eine Suppe für den Löwen
RWer traf wen? An welchem Theater war der Berliner zuletzt Intendant? Wann starb der Wiener?
Qückkehr eines jungen Mannes: in seine Heimat, die er ein Vierteljahrhundert davor, als Siebenjähriger, verlassen hatte. Er kam zurück, um seiner erlernten Profession nachzugehen und um das Leben eines großen, mehr als 30 Jahre älteren Berufskollegen zu dokumentieren. Eines Berufskollegen, den er den „Letzten der Löwen“nannte.
Der junge Mann war noch nie so neugierig gewesen, jemanden kennenzulernen. Zwar hatte er von seinen Eltern viel über das Objekt seines Interesses erfahren, aber das hatte ihn damals nicht sonderlich beeindruckt. Inzwischen war er herangewachsen, hatte sich seine ersten Sporen in seinem Metier verdient und wusste von der Bedeutung jenes älteren Mannes, dem er bald gegenüberstehen sollte: einer außergewöhnlichen Erscheinung – eines Denkmals seiner selbst.
Der junge Mann fuhr nach Berlin und ging ins Schillertheater. Er wusste nicht, was ihn bei der Probe erwarten würde. Nichts Aufregendes, schien es: Jener ältere Mann saß im Zuschauerraum, zwischen seiner Frau und seinem Assistenten, löffelte Suppe und verhielt sich ganz normal wie einer, der arbeitete – und andere arbeiten ließ: Berühmt, gar berüchtigt war der Mann als Regisseur für seine rekordverdächtigen Probenzeiten, detailverliebte Akkuratesse und die häufige Verschiebung von Premieren.
Aufgrund der Art, wie er mit Menschen und Problemen umging, war für den jungen Mann ganz klar, dass für den Älteren nur seine Konzeption des Stücks zählte. Alles, was nicht dazu passte, musste weichen. Es gab nichts, was der Ältere mehr hasste als leere Phrasen, prätentiöse Gesten, Klischees. Er vermenschlichte sogar die großen, heroischen Tragödien und Charaktere.
Der Enthusiasmus des jungen Mannes war groß, und er hat wohl einiges von dieser Begegnung als Antrieb für seine eigene Karriere genutzt. Die führte den Berliner auch öfter in die Geburtsstadt seines älteren Kollegen – nach Wien –, wo er für manche Theatersternstunde sorgte: mit Tschechow, aber auch mit der Inszenierung jenes Stückes, in dem sein 1970 verstorbener Gesprächspartner einst schauspielerische Maßstäbe gesetzt hatte – als Shylock in Shakespeares „Kaufmann von Venedig“.