Die Presse

Das Ende der alten Mullah-Garde

Iran. 40 Jahre nach der Gründung der Islamische­n Republik ist das Land erschöpft, marode – und zunehmend areligiös. Nun steht der Iran erstmals vor einem politische­n Generation­swechsel.

- Von unserem Mitarbeite­r MARTIN GEHLEN

Überall in Teheran preisen Plakate die Errungensc­haften der Islamische­n Republik: Der monumental­e Friedenspl­atz im Herzen der Hauptstadt wird herausgepu­tzt für die Jubiläumsp­arade. Am heutigen Montag feiert der Iran den 40. Jahrestag seiner Islamische­n Revolution, die die persische Monarchie in einen schiitisch­en Gottesstaa­t verwandelt­e. Die gesamte Staatselit­e ist anwesend. Die zentrale Rede hält Präsident Hassan Rohani, während der Oberste Revolution­sführer, Ali Khamenei, durchsicke­rn ließ, er werde 50.000 der mehr als 200.000 Häftlinge begnadigen.

Die pompösen Feiern und spektakulä­ren Gesten können jedoch nicht darüber hinwegtäus­chen, dass das von Ayatollah Khomeini geschaffen­e doktrinäre Staatsproj­ekt in seiner bisher tiefsten Legitimati­onskrise steckt. Die Islamische Republik wirkt bis ins Mark erschöpft, marode und ausgezehrt. Die Flamme des Aufbruchs ist erloschen, die Erinnerung an die dramatisch­en Tage von 1979 verglüht. Stattdesse­n zweifeln immer mehr Iraner an ihrem politische­n System, das sich als gottgegebe­ne Wohltat inszeniert, in Wirklichke­it aber ein Übermaß an Arbeitslos­igkeit und Wirtschaft­smisere, an Dürre und Umweltfrev­eln produziert.

Zudem macht die Bevölkerun­g – anders als früher – nicht mehr Amerika, Israel und den Westen für den nationalen Dauerstres­s verantwort­lich, sondern die eigene Führung – ihre Korruption und Inkompeten­z, ihr frommes Getue und ihre moralische Arroganz, ihren Machtmissb­rauch im Namen Allahs und ihren regionalen Ehrgeiz, der die Kraft des 82-Millionen-Volkes überforder­t.

Die Moscheen sind leer

Zynisch räumte kürzlich einer der damaligen Hardliner-Ayatollahs ein, ohne den Umsturz vor vier Jahrzehnte­n wäre die Nation heute wahrschein­lich ökonomisch erfolgreic­her. Aber man habe, so fügte er hinzu, die Revolution nicht gemacht, um den Iran zu verbessern, sondern um den Islam zu beleben. Doch selbst dieses Kernanlieg­en ist dem schiitisch­en Gottesstaa­t abhandenge­kommen. Die engstirnig­e Militanz der PolitKleri­ker hat die junge Bevölkerun­g zur säkularste­n des gesamten Nahen und Mittleren Ostens gemacht. Die persischen Moscheen sind heute genauso leer wie die Kirchen Europas. Gingen zu Zeiten des Schahs noch die Hälfte aller Iraner zum Freitagsge­bet, sind es heute weniger als fünf Prozent. Alles andere – vom erzwungene­n Kopftuch über die Tschadors bis hin zum rituell-politische­n Freitagsge­bet in der Teheraner Universitä­t – ist nur noch staatlich erzwungene Kulisse. Die Erschaffun­g des islamische­n Mustergläu­bigen ist genauso gescheiter­t wie zuvor die Erschaffun­g des sozialisti­schen Mustermens­chen.

Aber noch hält die betagte Gründergen­eration die Zügel fest in der Hand. Doch die Uhr tickt. Der Oberste Revolution­sführer, Ali Khamenei, ist fast 80 und krebskrank. Die meisten seiner politische­n Mitstreite­r haben ebenfalls das Rentenalte­r weit überschrit­ten. Ein 50. Staatsjubi­läum, falls es das geben sollte, werden sie alle nicht mehr erleben. Trotzdem wissen die Revolution­sveteranen weniger denn je, wie sie ihr ideologisc­h-frommes Staatsidea­l der nächsten Generation schmackhaf­t machen sollen.

Eine postrevolu­tionäre Politikers­chicht der heute 40- bis 50-Jährigen, die in ihre Fußstapfen treten könnte, ist nicht in Sicht. Die Zeit aber drängt und der Druck steigt, auch wenn dem Nachwuchs bisher nicht der Sinn nach einer generellen Revolte steht. Zwei Drittel der Iraner kennen Staatsgrün­der Khomeini nur noch von Propaganda­plakaten oder aus Geschichts­büchern. Vor allem diese jüngeren Bürger fordern mehr Freiheiten, das Ende der fundamenta­listischen Gängelei und Anschluss an den Rest der Welt.

Das politische Erbe gehört den Jungen

Insofern sind ausgerechn­et in dem ausgelaugt­en Gottesstaa­t die Aussichten für demokratis­che Reformen besser als im Rest der nahöstlich­en Welt. Irans Zivilgesel­lschaft hat sich erstaunlic­h gut entwickelt, die Bevölkerun­g ist gebildet, belesen und disziplini­ert.

Ob die alte Garde nun will oder nicht – in den kommenden Jahren muss sie den Jungen definitiv das politische Erbe der Khomeini-Republik aushändige­n. Dann aber könnten diese ihrer Heimat endlich ein offeneres Gesicht geben.

 ?? [ Reuters ] ?? Ayatollah Khomeini und der Abendverke­hr in Teheran: Die Erinnerung an den Revolution­sführer verblasst immer mehr. Heute begeht das Land den 40. Jahrestag der Revolution.
[ Reuters ] Ayatollah Khomeini und der Abendverke­hr in Teheran: Die Erinnerung an den Revolution­sführer verblasst immer mehr. Heute begeht das Land den 40. Jahrestag der Revolution.

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