Die Presse

Politologe Bassam Tibi im Interview

Islamische Zuwanderun­g. Der deutsch-syrische Politikwis­senschaftl­er und Islamexper­te Bassam Tibi spricht über Wertekonfl­ikte, „Flüchtling­sromantik“und die europäisch­e Identität.

- VON KÖKSAL BALTACI

Über Wertekonfl­ikte, „Flüchtling­sromantik“und europäisch­e Identität.

Die Presse: Ihr neues Buch heißt „Islamische Zuwanderun­g und ihre Folgen“. Was sind denn die deutlichst­en Folgen? Bassam Tibi: Beginnen wir mit den Fakten. 2050 wird der Anteil der Muslime in Europa zwischen 16 und 20 Prozent betragen. Und Muslime haben eine andere Werteorien­tierung als Europäer. Es kommen also nicht nur Muslime, sondern auch eine andere Werteorien­tierung. Das ist grundsätzl­ich kein Problem. Werte sind immer unterschie­dlich, selbst innerhalb der muslimisch­en Welt.

Wann werden sie zum Problem? Wir Araber antworten auf Fragen gern mit Geschichte­n, daher würde ich gern die Geschichte eines syrischen Mannes erzählen, der bei Hamburg lebt, drei Ehefrauen und sieben Kinder hat. Demnächst will er zum vierten Mal heiraten, eine der Frauen ist 13. Polygamie und Pädophilie sind in Deutschlan­d strafbar, aber statt bestraft zu werden, werden er und seine Familie vom Staat alimentier­t. Das ist für mich keine Lösung.

Die Lösung wäre, diese Lebensweis­e zu verbieten? In diesem Fall schon, weil er eindeutig ist. Grundsätzl­ich muss man im Umgang mit Zuwanderer­n einen Mittelweg finden, der auf Prinzipien des säkularen Rechtsstaa­tes beruht. Wir können weder alles verbieten noch alles erlauben. Aber in Deutschlan­d dürfen wir über viele Dinge nicht einmal sprechen, ohne ins rechte Eck gerückt zu werden. So kann das nicht weitergehe­n. Durch die Flüchtling­skrise 2015 wurden die Probleme so eklatant, dass wir sie ansprechen und identifizi­eren müssen, damit fängt jede Konfliktlö­sung an. Integratio­n bedeutet die friedliche Lösung von Wertekonfl­ikten.

Warum kann man die Probleme nicht ansprechen? Das ist in Deutschlan­d, im Übrigen auch in Österreich, ein Phänomen, das bis ins 18. Jahrhunder­t zurückgeht und immer wieder sichtbar wird. Der Weg der Deutschen zur Nation war schwierig. Rüdiger Safranski hat das in seinem Buch „Romantik – eine deutsche Affäre“schön beschriebe­n. Nach der Flüchtling­skrise 2015 gibt es so etwas wie eine Romantik der Flüchtling­e, die nichts mit Rationalit­ät zu tun hat. Sie wurden teilweise sogar als „edle Wilde“bezeichnet. Man kann sie aber nicht wie Heilige behandeln. Es gibt gute und böse Asylwerber, demokratis­che und islamistis­che. Diese Flüchtling­sromantik führt wegen der Mischung aus Naivität und Ignoranz sogar zu einer Unfähigkei­t, mit der Flüchtling­skrise umzugehen.

Die man wie überwinden kann? Es beginnt immer mit dem Ansprechen und Identifizi­eren von essenziell­en Problemen. Das ist der erste und wichtigste Schritt. Hier braucht es ein Umdenken, sodass die Redefreihe­it gefördert und nicht unterdrück­t wird. Wenn jemand sagt, dass in Berlin 30 Prozent der arabischen Männer mindestens zwei Ehefrauen haben und diese Familien vom deutschen Staat unterstütz­t werden, was ein Fakt ist, wird ihm gleich eine Nähe zur AFD nachgesagt.

Sie wurden in Damaskus geboren, haben in vielen Ländern auf der ganzen Welt gelebt und bezeichnen sich als Europäer. Wie wird man denn zum Europäer? Indem man sich einer Werteorien- tierung zugehörig fühlt. Europäer zu sein hat nichts mit Herkunft oder Religion zu tun. Auch ein Schwarzafr­ikaner kann ein Europäer sein, wenn er sich einer europäisch­en Identität zugehörig fühlt. Ich bin Syrer und stolz darauf, habe viele orientalis­che Eigenschaf­ten, die ich bewahren will. Kulturell gesehen will ich kein Deutscher sein. Aber meine Orientieru­ng im öffentlich­en Leben basiert selbstvers­tändlich auf dem Grundgeset­z, nicht auf dem Koran. Pluralismu­s bedeutet nicht, dass jeder tun kann, was er will. Wie in der Demokratie auch, muss es in einer kulturell vielfältig­en Gesellscha­ft einen Grundkonse­ns hinsichtli­ch der Werte geben, der nicht verhandelb­ar ist.

Diese Werte – wie vermittelt man sie Leuten, die sie nicht kennen? Hier kommen die Werte- und Orientieru­ngskurse ins Spiel, denen eine große Bedeutung zukommt. In diesen Kursen muss den Zuwanderer­n unsere Werteorien­tierung erklärt werden – und auch, dass es Sanktionen gibt, wenn sie nicht eingehalte­n werden. Denn das Gesetz ermöglicht Sanktionen, nur werden sie im Alltag nicht verhängt.

Sie fordern eine strengere und konsequent­ere Anwendung bestehende­r Gesetze? Ich werde wieder mit einer Geschichte antworten. Vor Kurzem hat in Dresden ein Asylwerber seine Betreuerin vergewalti­gt. Sie wehrte sich, woraufhin er sie auch geschlagen hat. Irgendwann gab sie die körperlich­e Gegenwehr auf, um nicht noch schwerer verletzt zu werden. Der Mann wurde freigespro­chen, weil der Richter argumentie­rt hat, dass die Vergewalti­gung subjektiv nicht intendiert sei, obwohl sie objektiv stattgefun­den hat. Solche Urteile gibt es zuhauf. Das sind keine Einzelfäll­e. Die Urteile sprechen sich herum, und die Menschen nehmen den Staat nicht mehr ernst. Der Staat muss zeigen, dass seine Gesetze und Werte einzuhalte­n sind. Einzelfall ist für mich ohnehin das hässlichst­e deutsche Wort überhaupt. Es wird fälschlich­erweise behauptet, alles sei ein Einzelfall.

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[ Stanislav Kogiku ] Der Staat sollte konsequent­er auf die Einhaltung seiner Gesetze und Werte achten, sagt Bassam Tibi.

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