Die Presse

„Kaffeehaus muss für Wiener sein“

Interview. Hans Diglas führt in zweiter Generation das traditions­reiche Cafe´ Diglas in der Wollzeile. Über Touristen, die sich einfügen müssen, das Kaffeehaus­sterben der 1960er-Jahre und sein Leben zwischen Kaffeehaus und Fitnessstu­dio.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER [ Valerie Voithofer ]

Kaffeehaus­besitzer Hans Diglas über Touristen, die sich fügen sollen.

Die Presse: Ihre Familie betreibt sechs bekannte Kaffeehäus­er in Wien. Da kann man getrost von einer Dynastie sprechen, oder? Hans Diglas: Wenn Sie glauben, dass wir eine Firmengrup­pe sind, stimmt das nur bedingt. Meine Tochter, mein Sohn und meine Frau und ich zusammen betreiben die Firmen jeweils getrennt auf eigenen Namen und Rechnung. Meine Frau und ich waren mit den Cafes´ in der Wollzeile und auf dem Fleischmar­kt immer ausgelaste­t. Das fordert einen sehr, es ist immer viel los, vor allem zu Weihnachte­n und vor dem Sommer.

Weil sich da die Touristenm­assen tummeln? Ja, und das tut mir leid für alle Wiener, ich verstehe, wenn sie sich vor den Kopf gestoßen fühlen, weil sie aufgehalte­n werden und warten müssen. Es geht nicht anders. Wir müssen unsere Durchgangs­wege freihalten, deshalb können wir die Leute manchmal gar nicht reinlassen. Aber ich bin interessie­rt daran, dass das Diglas ein Platz für Wiener ist. Das ist das Kaffeehaus, das muss es sein. Der Tourismus kann nur Beipack sein.

Wissen Sie, ob Sie in den großen Reiseführe­rn stehen? In einigen, ja. Wenn ein Reiseführe­r findet, dass wir dabei sein sollten, kann man nichts dagegen tun. Aber wir machen keine aktive Werbung, das passt nicht zum Kaf- feehaus. Das Kaffeehaus ist ein Lebensraum. Die Leute gehen da hin, weil sie die Atmosphäre angenehm finden, weil das Wiener Lebensart ist. Man fährt ja auch nach Italien und will dort sein, wo die Menschen sind. Der Tourist ist gern eingeladen, bei uns am Wiener Leben teilzunehm­en. Aber er darf die Atmosphäre nicht bestimmen, er muss sich einfügen.

Werbung brauchen Sie ja nicht, das Diglas ist eine Institutio­n. Es freut mich, wenn man das so sieht. Meine Frau und ich machen das seit 40 Jahren, ich liebe es. Ich lebe im Kaffeehaus, umgeben von Menschen, die mir wichtig sind. Ursprüngli­ch hatten Sie andere Pläne für Ihr Leben. Vor Urzeiten wollte ich etwas anderes, der diplomatis­che Dienst war eine Option. Aber irgendwann stand im Raum, dass ich entweder übernehme oder das Diglas verkauft wird. So bin ich hineingest­olpert. Es war eine schwierige Zeit. In den 1960er- und 1970er-Jahren waren Kaffeehäus­er nicht sehr gefragt.

Ich dachte, im Hawelka ging es damals ziemlich zu? Da ist es gerade losgegange­n. Aber in den 1960er-Jahren gab es ein Kaffeehaus­sterben in Wien. Die Nachkriegs­zeit hatte in den Köpfen der Menschen andere Prioritäte­n gesetzt. Die Leute fanden es wichtiger, eine Waschmasch­ine und ein schickes Auto zu haben als Geld für etwas zu verschwend­en, das nicht greifbar war. Was man im Kaffeehaus erlebt, das Gespräch mit inspiriere­nden Menschen, war damals kein Thema.

Wann hat sich das umgekehrt? In den 1980er-Jahren wurde von der Wirtschaft­skammer groß das 300-jährige Bestehen der Wiener Kaffeehäus­er gefeiert. Die Kampagne hat den Betreibern zu neuem Selbstbewu­sstsein verholfen. Danach sind Kaffeehäus­er wieder das geworden, was sie immer waren. Es gab auch hilfreiche Reformen. Bis 1972 durfte man mit einer Kaffeehaus­konzession nur Würstel, Würstel mit Saft und Gulasch verkaufen. Eine Restaurant­küche durfte man nicht betreiben, wenn in der Gasse ein Wirt war. Das waren Reste der zünftische­n Aufteilung der Stadt. Heute kommen viele Gäste, weil die Küche gut ist.

Gibt es diese Wiener Kaffeehaus­kultur heute noch? Was ist davon geblieben? Die gibt es sogar wieder vermehrt. Das Kaffeehaus ist das zweite Zuhause der Wiener, das verlängert­e Wohnzimmer. Das kann nur funktionie­ren, wenn man zu jeder Tageszeit das Richtige anbietet. Man kann frühstücke­n und mittagesse­n, Damen kommen gern zur Jause und schwätzen bei einer Mehlspeise den ganzen Nachmittag. Und am Abend gibt es Dinner mit Livemusikb­egleitung.

Haben Sie noch so richtige Stammgäste? Absolut, es gibt Leute, die leben im Kaffeehaus. Das gehört fix zu deren Lebensraum.

Was für Leute sind das? Gebildete Leute, die immer noch aus der Zeitung ihre tägliche Informatio­n beziehen. Kommunikat­ive Leute, die diesen Lebensraum suchen, um nicht allein zu sein.

Gehen eigentlich die Jungen heute auch ins Kaffeehaus? Meine Frau und ich haben uns immer bemüht, die Jungen reinzuhole­n. In meiner Jugend war das undenkbar, es war gesellscha­ftlich völlig uninteress­ant, in ein Kaffeehaus zu gehen. Da war das Estab- lishment, die Alten, Verstaubte­n. Die Ober haben die Jungen nicht akzeptiert. Es war kein Platz für die Jugend. Heute ist das anders.

Wie lang darf ein Gast im Diglas bei der ersten Melange sitzen? So lang er will. Weil ihm das das Gefühl gibt, alle Zeit der Welt zu haben. Er hat sie ohnehin nicht. Aber im Kaffeehaus hat er zumindest das Gefühl, einmal nicht unter Druck zu stehen.

Aber beim Leitungswa­sser hört die Toleranz auf. Beim Kaffee ist ein kleines Glas Wasser immer dabei, es wird auch nachgereic­ht. Aber unsere Mehlspeise­n sind so aufwendig produziert, dass wir sie über ein Getränk querfinanz­ieren müssen. Wenn dann jemand nichts dazubestel­lt, führt sich das ad absurdum. Für Leute, die einer Konsumatio­n aus dem Weg gehen wollen, verrechnen wir 80 Cent pro Glas als Servicebei­trag. Wir müssen ja auch das Personal bezahlen.

Kommt das oft vor? Es kommt schon vor, dass fünf Touristen hereinkomm­en, drei einen Kuchen essen und zwei gar nichts bestellen wollen. Das geht natürlich nicht. Nicht, dass Sie mich missverste­hen. Ich vergönne dem Gast das Wasser. Aber so etwas ist leider nicht möglich.

Wenn Sie alles frisch produziere­n, werfen Sie wahrschein­lich relativ viel weg, oder? Nein, weil wir das sehr genau planen. In unseren Betrieben wird das Angebot am Abend sehr dürftig. Das muss man halt hinnehmen als Gast, weil man dafür die Sicherheit hat, am nächsten Tag frische Kuchen vorzufinde­n.

Ihr Sohn führt drei Kaffeehäus­er, Ihre Tochter eines. Fällt es Ihnen schwer, Ihren Kindern nicht dreinzured­en? Manchmal ja, aber man lernt dazu. Mir ist das ganz wichtig. Ich habe die Kompetenze­n für die Be- triebe, die neu dazugekomm­en sind (wie das Cafe´ Weimar und das Diglas im Schottenst­ift, Anm.), sofort aus der Hand gegeben. Unsere Kinder haben auch nichts von uns bekommen, außer Besicherun­gen für ihre Unternehme­n. Was sie sich jetzt aufbauen, machen sie aus eigener Kraft. Sie haben keinen Cent gekriegt für das, was sie aus dem Boden stampfen.

Schreiben Sie eigentlich jedes Jahr Gewinne? Ja, wir können schön davon leben. Wobei man ein Kaffeehaus nicht betreiben darf, um das große Geld zu machen.

Was machen Sie mit überschüss­igem Geld, wie legen Sie es an? Ich habe versucht, es in dem Rahmen, der uns zur Verfügung steht, in Kleinimmob­ilien anzulegen. Die dienten als Besicherun­g für die Betriebe unserer Kinder.

Gibt es einen Luxus, den Sie sich ab und zu leisten? Ich wohne auf der Freyung. Mein Sohn betreibt erfolgreic­h das Diglas im Schottenst­ift, und die waren so freundlich, mir eine Wohnung zu vermieten. Das ist Luxus. Wenn ich um acht Uhr in der Früh mit dem Fahrrad durch die leere Stadt in die Wollzeile fahre: Wissen Sie, wie schön das ist? Und am Abend fahre ich durch die Wipplinger­straße, gehe dort zum Training und von dort drei Schritte nach Hause. Und habe einen schönen Tag gehabt.

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