Wenn alles steigt, wird’s gefährlich
Geldanlage. Anleger konnten zuletzt ein ungewöhnliches Phänomen beobachten: Viele Anlageklassen legten zu, von Aktien über Staatsanleihen bis zu Gold. Allemal Grund zur Sorge, dass sich hier etwas zusammenbrauen könnte.
New York. Man kann ihn nicht oft genug wiederholen, diesen alten Spruch von Warren Buffett: Sei gierig, wenn andere ängstlich sind, und sei ängstlich, wenn andere gierig sind. Der Starinvestor hat sowieso fast immer recht, damit aber besonders. Das zeigte sich einmal mehr in den vergangenen Wochen. Wiewohl: So mancher Trend seit Weihnachten ist äußerst ungewöhnlich, damit konnte auch Buffett nicht rechnen. Jedenfalls gilt es, momentan ein wenig vorsichtig zu sein.
Der Reihe nach: „Sei gierig, wenn andere ängstlich sind“, das hätte man um die Weihnachtszeit beachten sollen. Im Nachhinein ist man immer klüger, aber es gab viele Anzeichen, dass das Kursgemetzel im Advent überzogen war. Wer am Heiligen Abend Zeit hatte, USAktien zu kaufen, wurde reichlich belohnt. Am 26. Dezember verzeichnete der Dow-Jones-Index seinen bisher höchsten Punktgewinn, und auch im Jänner ging es steil bergauf. Der knapp achtprozentige Anstieg im ersten Monat des Jahres war der beste Jahresanfang seit den 1980er-Jahren. Der Rest der Welt zog mit, kaum ein bedeutender Markt, der keine hohen Gewinne verbuchen konnte.
Nun zum ungewöhnlichen Teil der Geschichte, und da hört sich der Spaß auf. US-Staatsanleihen waren im Jänner auch sehr gefragt, genauso wie Gold und Junk Bonds, also Anleihen von Firmen, deren Kreditwürdigkeit nicht die beste ist. Besonders die Tendenz bei USStaatspapieren bedarf einer genauen Betrachtung. Was für den Fußballer die Champions League, ist für den Börsianer der Anleihenmarkt. Wer Markttrends analysieren mag, tut gut daran, ein Auge auf die Kurse und Renditen von Treasuries zu werfen.
Anomalie im Jänner
Zumeist entwickeln sich die Kurse auf dem Anleihemarkt konträr zu jenen auf dem Aktienmarkt. Ist das Umfeld für Aktien gut, deutet das auf eine solide Konjunktur hin. Das macht Zinserhöhungen der Zentralbanken wahrscheinlicher, und höhere Zinsen sind schlecht für Besitzer von Staatsanleihen. Deren fixer Zinscoupon ist in einem steigenden Zinsumfeld weniger attraktiv. Am besten lässt sich die Entwicklung von Staatspapieren an der Rendite messen, die sich konträr zum Kurs entwickelt. Soll heißen: Fällt der Kurs, steigt die Rendite.
Dieses Phänomen war für den Großteil des vergangenen Jahres zu beobachten. Die Rendite für zehnjährige Treasuries – sie gelten als der Maßstab schlechthin – stieg von Jahresanfang bis November von 2,47 Prozent auf 3,24 Prozent. Im Zuge des Blutbads an den Aktien- märkten im Dezember flüchteten viele Investoren in US-Staatsanleihen, und die Rendite fiel wieder auf 2,6 Prozent. Alles logisch. Im Jänner allerdings verharrte die Rendite auf diesem Niveau, trotz des Rekordanstiegs auf dem Aktienmarkt. Das ist intuitiv schon weniger logisch. Erklären kann man es natürlich trotzdem. Die Notenbank Fed hat weitere Zinserhöhungen wegen der sich eintrübenden Konjunktur auf Eis gelegt. Eine Verkaufswelle von Staatspapieren blieb deshalb aus, die Aktiengewinne ließen die Anleiheprofis kalt. Kurz: Die Händler von Treasuries sind, ebenso wie die Fed, nicht sehr optimistisch, was die Zukunft der weltgrößten Volkswirtschaft angeht. Das gilt übrigens nicht nur mittelfristig, sondern auch kurzfristig. Darauf deuten die Renditen für zweijährige Treasuries hin, die sich zuletzt im Tandem mit jenen für zehnjährige entwickelten.
Überzogene Erholung
Was lässt sich daraus schließen? Viele Analysten an der Wall Street gehen davon aus, dass nicht nur das Gemetzel auf dem Aktienmarkt im Dezember, sondern auch die Erholung im Jänner überzogen war. Die Funda-
mentalda- ten rechtfertigen die seit Weihnachten zweistelligen Kursgewinne bei den wichtigsten Indizes nicht. Entsprechend versuchten manche Investoren, nicht auf den zu schnell fahrenden Zug aufzuspringen. Sie suchten Sicherheit in Form von Treasuries und eben auch Gold, das seit Jahresbeginn um mehr als zwei Prozent zugelegt hat.
Doch sind zuletzt nicht alle so vorsichtig gewesen. Die Gier ist ein Luder, und so stieg im Zuge der Rallye im Jänner auch wieder der Appetit auf hochriskante Firmenanleihen. Um mehr als 50 Mrd. Dollar haben US-Anleger im Jänner Junk Bonds erworben, obwohl Experten warnen, dass die hohe Privatverschuldung nicht nur in den USA eine tickende Zeitbombe ist. Zum Vergleich: Im Dezember waren es weniger als fünf Mrd. Dollar, im November unter 30 Mrd. Dollar. Ist ja auch verlockend, schließlich mussten Firmen mit einer schlechten Bonität von CCC nach der Trockenphase im Dezember ihre Angebote nachbessern und eine Rendite bieten, die jene
von Staatspapieren im Durchschnitt um stolze zehn Prozent übersteigt. Eine hohe Verzinsung kommt jedoch mit hohem Risiko, und die Chance, dass es auf dem Markt für Firmenanleihen irgendwann mal ordentlich kracht, ist groß. Das gilt vor allem dann, wenn sich die Konjunktur eintrübt und kaum kreditwürdige Firmen wegen ausbleibender Einnahmen immer mehr Fremdkapital brauchen.
Mit Korrektur ist zu rechnen
Nun ist das alles kein Grund, sofort schreiend zum Ausgang zu laufen. Globale Aktien haben nach wie vor Potenzial, vor allem, wenn sich die
Was tun?
USA und China im Handelsstreit einigen sollten. Doch ist es an der Zeit, den anderen Teil von Buffetts Regel zu beherzigen: Sei ängstlich, wenn andere gierig sind. Das Beschriebene muss nicht notwendigerweise in einem neuerlichen Gemetzel mit Verlusten von 20 Prozent oder mehr enden. Aber eine zwischenzeitliche Korrektur, also ein Minus von zehn Prozent, wäre innerhalb der kommenden Monate zumindest keine Überraschung.
Freilich: Wann – und ob – diese Korrektur kommt, weiß niemand, und außerdem kann es auch nach einem zehnprozentigen Minus schnell wieder aufwärtsgehen. Was also tun? Wer aktuell über einen hohen Bargeldanteil verfügt, könnte einen stufenweisen Investmentplan ins Auge fassen, also Monat für Monat nur einen Teil davon investieren. Kursgewinne werden so nicht verpasst, und nach Kursverlusten kann günstiger zugekauft werden. Wer wiederum über einen geringen Bargeldanteil verfügt und großteils in Aktien investiert ist, könnte ein wenig zuwarten und jenen Teil des Gehalts, den man zur Seite legen kann, nicht gleich investieren.