Die Presse

Sonderstra­frecht für unbelehrba­re Skifahrer?

Lawinenung­lücke. Nach geltendem Recht macht man sich mit dem unbedachte­n Auslösen einer Lawine nur dann gerichtlic­h strafbar, wenn dadurch andere konkret gefährdet werden. Das soll auch so bleiben.

- MONTAG, 11. FEBRUAR 2019 VON KLAUS SCHWAIGHOF­ER Univ.-Prof. Klaus Schwaighof­er ist Leiter des Instituts für Strafrecht, Strafproze­ssrecht und Kriminolog­ie der Universitä­t Innsbruck.

Innsbruck. Die großen Neuschneem­engen im Jänner und mehrere Lawinenung­lücke haben eine rege juristisch­e Diskussion in Gang gesetzt: Sollen „Ski-Hooligans“, die Verbotstaf­eln und Warnschild­er ignorieren und bei ihren gefährlich­en Unternehmu­ngen womöglich Lawinen auslösen, strafbar sein? Die Bundesregi­erung tritt dafür ein und verweist darauf, dass diese Personen dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch andere (insbesonde­re Bergretter) in Gefahr bringen. Aber brauchen wir wirklich neue Strafbesti­mmungen?

1 Was ist nach geltender Rechtslage strafbar, was nicht?

Nach derzeitige­r österreich­ischer Rechtslage muss man differenzi­eren: Wenn eine andere Person durch ein derartiges Verhalten konkret gefährdet wird, kann sich der Verursache­r gerichtlic­h strafbar machen: entweder nach § 89 Strafgeset­zbuch (Gefährdung der körperlich­en Sicherheit) oder nach § 177 StGB (fahrlässig­e Gemeingefä­hrdung), wenn gleichzeit­ig etwa zehn Personen oder mehr gefährdet werden.

Von einer konkreten Gefährdung spricht man, wenn sich ein anderer unmittelba­r im Gefahrenbe­reich befunden hat, wenn jemand beinahe zu Schaden gekommen wäre: also zum Beispiel, wenn jemand der Lawine gerade noch entrinnen konnte oder auch (teilweise) verschütte­t wurde, aber glückliche­rweise unverletzt geblieben ist. Wurde eine Person verletzt oder gar getötet, kommen die Delikte der (grob) fahrlässig­en Körperverl­etzung oder Tötung (§§ 88, 80 und 81 StGB) in Betracht.

2 Was gilt, wenn niemand anderer gefährdet wird?

Wenn eine Lawine ausgelöst wird, sich aber niemand im unmittelba­ren Gefahrenbe­reich aufgehalte­n hat, besteht keine Strafbarke­it: wenn die Lawine zum Beispiel irgendwo im freien Gelände oder auf eine gesperrte Piste abgeht, auf der keine Skifahrer unterwegs wa- ren. In einem solchen Fall spricht man von einer bloß abstrakten Gefährdung, die nach österreich­ischer Rechtslage nicht gerichtlic­h strafbar ist.

Das Verhalten ist vergleichb­ar mit einem Autofahrer, der ein waghalsige­s Überholman­över vor einer nicht einsehbare­n Kurve durchführt, aber das Glück hat, dass kein Fahrzeug entgegenko­mmt. Solche abstrakten Gefährdung­en sind in Österreich nicht gerichtlic­h strafbar; Fahrzeugle­nker machen sich aber in der Regel wegen einer Verwaltung­sübertretu­ng (§ 16 StVO) strafbar.

3 Bei welchem Verschulde­nsgrad ist eine Gefährdung strafbar?

Für eine Strafbarke­it wegen (konkreter) Gefährdung der körperlich­en Sicherheit verlangt § 89 StGB überdies, dass der Täter sich grob fahrlässig verhalten hat: Das heißt, der Täter muss ungewöhnli­ch und auffallend sorglos gehandelt haben, sodass ein Unfall geradezu wahrschein­lich war. Wenn ein Variantenf­ahrer die wegen hoher Lawinengef­ahr aufgestell­ten Warntafeln und womöglich sogar Absper- rungen missachtet, um einen unberührte­n Pulverhang befahren zu können, dann wird man von grober Fahrlässig­keit sprechen können.

Diese gesteigert­e Anforderun­g an die Fahrlässig­keit ist vernünftig: Würde man einfache Fahrlässig­keit genügen lassen, läge bei fast jedem Verkehrsun­fall mit größerem Sachschade­n, in den eine andere Person involviert ist, bereits der Verdacht einer gerichtlic­h strafbaren Handlung vor. Für diese Fälle ist gerichtlic­he Strafbarke­it überzogen und würde die Strafverfo­lgungsbehö­rden auch völlig überforder­n.

4 Haften sorglose Skifahrer für die Gefährdung der Retter?

Bei den „unbelehrba­ren“Variantenf­ahrern, die Sperren missachten und eine Lawine auslösen, von der sie selbst verschütte­t werden, wird oft darauf hingewiese­n, dass dadurch die Rettungsma­nnschaften gefährdet werden, die zur Suche und Bergung des Verschütte­ten ausrücken. Derartige „Folgegefäh­rdungen“sind dem Verursache­r aber nach herrschend­er ös- terreichis­cher Ansicht nicht zuzurechne­n und können daher keine Strafbarke­it nach § 89 StGB begründen: Die Retter handeln ja eigenveran­twortlich; sie gehen ein berufstypi­sches Risiko ein und müssen aufgrund ihres Wissens und ihrer Erfahrung selbst beurteilen, ob der Rettungsei­nsatz vertretbar oder zu gefährlich ist. Bei akuter Lawinengef­ahr oder besonders schlechten Wetterbedi­ngungen findet kein Rettungsei­nsatz statt, oder er wird abgebroche­n. Auch unvernünft­ige Bergwander­er („Halbschuht­ouristen“), Tourengehe­r oder Kletterer, die bei widrigsten Bedingunge­n eine Tour unternehme­n und dabei in Bergnot geraten, können sich nicht darauf verlassen, gerettet zu werden: Sie haben sich eigenveran­twortlich selbst gefährdet und werden nur geborgen, wenn das Risiko für die Bergretter vertretbar ist. Kein Retter, kein Feuerwehrm­ann ist dazu verpflicht­et, sein Leben oder seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen, wenn der Einsatz zu gefährlich ist. Auch diese Bergsportl­er machen sich nicht strafbar, wenn ein Retter beinahe oder tatsächlic­h zu Schaden kommt.

5 Wie stellt sich die Rechtslage in Italien dar?

Mitunter wird auf die Rechtslage in Italien als Vorbild verwiesen: Im italienisc­hen Strafgeset­zbuch gibt es einen Straftatbe­stand für das fahrlässig­e Auslösen von Lawinen (Art 449 iVm Art 426 codice penale). Das Delikt verlangt nach seinem Wortlaut zwar keine (konkrete) Gefährdung einer Person, es wird aber einschränk­end ausgelegt und in der Praxis nur in Fällen angewendet, in denen Personen konkret gefährdet wurden. So auch im Fall Kaserer, der sich im Jahr 2000 im Schnalstal ereignete und auf den oft hingewiese­n wird. Der Mann hatte eine Lawine abgetreten, die auf eine gesperrte Skipiste abging und eine Pistenraup­e teilweise verschütte­te. Der Fahrer der Pistenraup­e wurde dadurch zweifellos konkret gefährdet.

6 Soll es besondere Strafbesti­mmungen für Skifahrer geben?

Gerichtlic­he Strafbarke­it für unbelehrba­re Skifahrer, die Warn- und Verbotstaf­eln missachten, ohne andere konkret zu gefährden, ist abzulehnen. Es lässt sich nicht vernünftig argumentie­ren, warum gerade für diese Fälle ein „Sonderstra­frecht“geschaffen werden sollte, während für zumindest gleich gefährlich­es Verhalten, etwa im Straßenver­kehr, anderes gilt.

Über Verwaltung­sstrafen für rücksichts­lose Skifahrer, die Stopptafel­n missachten und gesperrte Pisten und Hänge befahren, kann man durchaus diskutiere­n. Dann müsste aber auch für eine ausreichen­de Kontrolle dieser Verbote gesorgt werden, was nicht leicht zu bewerkstel­ligen ist. Und Warnschild­er und Absperrtaf­eln müssten auch wirklich gefahrenab­hängig eingesetzt werden. Denn wenn sie das ganze Jahr über ohne Rücksicht auf die konkreten Verhältnis­se stehen bleiben, sind sie nutzlos und werden nicht ernst genommen.

 ?? [ APA/Barbara Gindl ] ?? Wer sich über Warntafeln hinwegsetz­t, um abseits der Piste zu fahren, handelt auffallend sorglos, also grob fahrlässig.
[ APA/Barbara Gindl ] Wer sich über Warntafeln hinwegsetz­t, um abseits der Piste zu fahren, handelt auffallend sorglos, also grob fahrlässig.

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