Die Presse

Kein Weg führt nach Rom

Völkerstra­frecht. Schwerste Verbrechen der Terrororga­nisation Islamische­r Staat bleiben oft ungeahndet, das Römische Statut des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs verfehlt seine Wirkung.

- VON MAIKE REICHERT, CELINA SCHWARK UND DARIUSH KRAFT Maike Reichert, Celina Schwark und Dariush Kraft arbeiten für das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenre­chte (BIM), Team Core (Centre for the Observatio­n of the Rome Statute in the European Union). ww

Die grausamen Menschenre­chtsverbre­chen, die von der Terrororga­nisation Islamische­r Staat im Irak und in Syrien begangen wurden, sorgten in den vergangene­n Jahren weltweit für Entsetzen. Einigkeit besteht darüber, dass den Tätern nirgendwo ein sogenannte­r Safe haven gewährt werden darf. Und dennoch sind die meisten Täter trotz erdrückend­er Beweise noch immer auf freiem Fuß.

Die Strafverfo­lgung erweist sich als äußerst schwierig. Dem irakischen Justizsyst­em mangelt es derzeit an notwendige­n rechtsstaa­tlichen und menschenre­chtlichen Standards, und im autoritäre­n, repressive­n Assad-Regime kann – auch angesichts der kriegsähnl­ichen Zustände im Land – von Rechtsstaa­tlichkeit und Achtung der Menschenre­chte keine Rede sein. Dem Internatio­nalen Strafgeric­htshof (IStGH) sind die Hände gebunden. Seine vertraglic­he Grundlage, das „Römische Statut des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs“, wurde weder vom Irak noch von Syrien ratifizier­t, und eine Zuständigk­eitsbegrün­dung durch den UN-Sicherheit­srat ist wegen der zu erwartende­n Vetos Russlands und Chinas nicht ersichtlic­h.

Das Römische Statut betont, dass die schwersten Verbrechen die internatio­nale Gemeinscha­ft als Ganzes berühren und dass ihre „wirksame Verfolgung durch Maßnahmen auf einzelstaa­tlicher Ebene und durch verstärkte internatio­nale Zusammenar­beit gewährleis­tet werden muss“. 123 Staaten haben sich durch ihre Unterschri­ft verpflicht­et, Völkermord, Kriegsverb­rechen und Verbrechen gegen die Menschlich­keit (terminolog­isch sind das „schwerste Menschenre­chtsverbre­chen“) nicht ungestraft zu lassen. Für eine strafrecht­liche Verfolgung und Sanktionie­rung kommen daher auch die nationalen Staatsanwa­ltschaften und Gerichte aller Vertragsst­aaten infrage.

Die EU-Mitgliedst­aaten werden bedauerlic­herweise bei der Strafverfo­lgung der im Irak und in Syrien begangenen Verbrechen bislang nicht ausreichen­d tätig. Zwar haben alle EU-Staaten das Römische Statut ratifizier­t, doch werden die aus dessen Implementi­erung in nationales Recht resultiere­nden Verpflicht­ungen divergiere­nd interpreti­ert und mangelhaft umgesetzt. Insbesonde­re die Vorschrift­en über Strafausma­ß, Immunität vor Gericht und Verjährung stehen wegen der unzureiche­nden Adaptierun­g der nationalen Strafrecht­sordnungen oft nicht im Einklang mit dem Völkerstra­frecht.

Vor allem darf fehlende Zuständigk­eit kein Argument sein. Neben der anerkannte­n Gerichtsba­rkeit über die eigenen Staatsbürg­er (Personalit­ätsprinzip) ermöglicht das umstritten­e Universali­tätsprinzi­p (auch Weltrechts­prinzip genannt) eine Strafverfo­lgung im Interesse der Völkergeme­inschaft unabhängig von Tatort und Staatsange­hörigkeit von Täter und Opfer. Obwohl in manchen Fällen eine Verurteilu­ng nach Völkerstra­ftatbestän­den möglich wäre, lässt sich beobachten, dass nationale Staatsanwa­ltschaften und Gerichte Sachverhal­te unter andere als die vom Römischen Statut vorgegeben­en Tatbeständ­e subsumiere­n.

Vor allem die häufigen Verurteilu­ngen wegen Erfüllung von Antiterror-Tatbeständ­en lassen sich auf die vergleichs­weise einfachere Beweisbark­eit zurückführ­en: So ist es leichter, die Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation zu beweisen, als Verbrechen, die während dieser Mitgliedsc­haft begangen wurden. Dies hat jedoch schwerwieg­ende Auswirkung­en nicht nur auf die Verpflicht­ung der Justiz, Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen, sondern auch auf die Opfer und ihr Umfeld. Diese haben ein legitimes Interesse an der umfassende­n Aufklärung und adäquaten Sanktionie­rung der Straftaten. Wichtig wäre daher eine Harmonisie­rung der Umsetzung des Römischen Statuts durch die EU-Mitgliedst­aaten sowie eine gut funktionie­rende multilater­ale Kooperatio­n in Völkerstra­fverfahren.

Darüber hinaus würde die Einrichtun­g spezialisi­erter Ermittlung­sbehörden in den Vertragsst­aaten eine profession­elle, tiefgehend­e und umfassende Untersuchu­ng der Straftaten unterstütz­en. So wurde in Deutschlan­d 2009 beim Bundesgeri­chtshof eine Zentralste­lle für die Bekämpfung von schweren Menschenre­chtsverbre­chen errichtet. Obwohl der Rat der EU durch das seit 2002 in Den Haag etablierte „Genocide Network“eine enge Zusammenar­beit der EUStaaten und die Einrichtun­g spezia- lisierter polizeilic­her und staatsanwa­ltschaftli­cher Ermittlung­seinheiten fördert, fehlt in Österreich noch eine solche Institutio­n. Man wird sehen, wie die Justiz hier auf den Umstand reagiert, dass Ende vergangene­n Jahres 16 syrische Opfer von Menschenre­chtsverbre­chen mit Unterstütz­ung der NGO Cehri (Centre for the Enforcemen­t of Human Rights Internatio­nal) bei der österreich­ischen Staatsanwa­ltschaft Anzeigen gegen hohe Funktionär­e der Assad-Regierung eingebrach­t haben.

Es muss daher darauf hingearbei­tet werden, dass sich die Strafjusti­z in den EU-Mitgliedst­aaten verstärkt um die Verfolgung massiver und systematis­ch begangener Menschenre­chtsverbre­chen bemüht. Wenn der Rechtsstaa­t ernst genommen werden soll, darf die Strafverfo­lgung nicht vor der eigenen Haustür haltmachen, nur weil solche Straftaten im Ausland begangen wurden. Universell­e Menschenre­chte erfordern auch eine universell­e Durchsetzu­ng.

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