Kein Weg führt nach Rom
Völkerstrafrecht. Schwerste Verbrechen der Terrororganisation Islamischer Staat bleiben oft ungeahndet, das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs verfehlt seine Wirkung.
Die grausamen Menschenrechtsverbrechen, die von der Terrororganisation Islamischer Staat im Irak und in Syrien begangen wurden, sorgten in den vergangenen Jahren weltweit für Entsetzen. Einigkeit besteht darüber, dass den Tätern nirgendwo ein sogenannter Safe haven gewährt werden darf. Und dennoch sind die meisten Täter trotz erdrückender Beweise noch immer auf freiem Fuß.
Die Strafverfolgung erweist sich als äußerst schwierig. Dem irakischen Justizsystem mangelt es derzeit an notwendigen rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Standards, und im autoritären, repressiven Assad-Regime kann – auch angesichts der kriegsähnlichen Zustände im Land – von Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte keine Rede sein. Dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) sind die Hände gebunden. Seine vertragliche Grundlage, das „Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs“, wurde weder vom Irak noch von Syrien ratifiziert, und eine Zuständigkeitsbegründung durch den UN-Sicherheitsrat ist wegen der zu erwartenden Vetos Russlands und Chinas nicht ersichtlich.
Das Römische Statut betont, dass die schwersten Verbrechen die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren und dass ihre „wirksame Verfolgung durch Maßnahmen auf einzelstaatlicher Ebene und durch verstärkte internationale Zusammenarbeit gewährleistet werden muss“. 123 Staaten haben sich durch ihre Unterschrift verpflichtet, Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (terminologisch sind das „schwerste Menschenrechtsverbrechen“) nicht ungestraft zu lassen. Für eine strafrechtliche Verfolgung und Sanktionierung kommen daher auch die nationalen Staatsanwaltschaften und Gerichte aller Vertragsstaaten infrage.
Die EU-Mitgliedstaaten werden bedauerlicherweise bei der Strafverfolgung der im Irak und in Syrien begangenen Verbrechen bislang nicht ausreichend tätig. Zwar haben alle EU-Staaten das Römische Statut ratifiziert, doch werden die aus dessen Implementierung in nationales Recht resultierenden Verpflichtungen divergierend interpretiert und mangelhaft umgesetzt. Insbesondere die Vorschriften über Strafausmaß, Immunität vor Gericht und Verjährung stehen wegen der unzureichenden Adaptierung der nationalen Strafrechtsordnungen oft nicht im Einklang mit dem Völkerstrafrecht.
Vor allem darf fehlende Zuständigkeit kein Argument sein. Neben der anerkannten Gerichtsbarkeit über die eigenen Staatsbürger (Personalitätsprinzip) ermöglicht das umstrittene Universalitätsprinzip (auch Weltrechtsprinzip genannt) eine Strafverfolgung im Interesse der Völkergemeinschaft unabhängig von Tatort und Staatsangehörigkeit von Täter und Opfer. Obwohl in manchen Fällen eine Verurteilung nach Völkerstraftatbeständen möglich wäre, lässt sich beobachten, dass nationale Staatsanwaltschaften und Gerichte Sachverhalte unter andere als die vom Römischen Statut vorgegebenen Tatbestände subsumieren.
Vor allem die häufigen Verurteilungen wegen Erfüllung von Antiterror-Tatbeständen lassen sich auf die vergleichsweise einfachere Beweisbarkeit zurückführen: So ist es leichter, die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation zu beweisen, als Verbrechen, die während dieser Mitgliedschaft begangen wurden. Dies hat jedoch schwerwiegende Auswirkungen nicht nur auf die Verpflichtung der Justiz, Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen, sondern auch auf die Opfer und ihr Umfeld. Diese haben ein legitimes Interesse an der umfassenden Aufklärung und adäquaten Sanktionierung der Straftaten. Wichtig wäre daher eine Harmonisierung der Umsetzung des Römischen Statuts durch die EU-Mitgliedstaaten sowie eine gut funktionierende multilaterale Kooperation in Völkerstrafverfahren.
Darüber hinaus würde die Einrichtung spezialisierter Ermittlungsbehörden in den Vertragsstaaten eine professionelle, tiefgehende und umfassende Untersuchung der Straftaten unterstützen. So wurde in Deutschland 2009 beim Bundesgerichtshof eine Zentralstelle für die Bekämpfung von schweren Menschenrechtsverbrechen errichtet. Obwohl der Rat der EU durch das seit 2002 in Den Haag etablierte „Genocide Network“eine enge Zusammenarbeit der EUStaaten und die Einrichtung spezia- lisierter polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Ermittlungseinheiten fördert, fehlt in Österreich noch eine solche Institution. Man wird sehen, wie die Justiz hier auf den Umstand reagiert, dass Ende vergangenen Jahres 16 syrische Opfer von Menschenrechtsverbrechen mit Unterstützung der NGO Cehri (Centre for the Enforcement of Human Rights International) bei der österreichischen Staatsanwaltschaft Anzeigen gegen hohe Funktionäre der Assad-Regierung eingebracht haben.
Es muss daher darauf hingearbeitet werden, dass sich die Strafjustiz in den EU-Mitgliedstaaten verstärkt um die Verfolgung massiver und systematisch begangener Menschenrechtsverbrechen bemüht. Wenn der Rechtsstaat ernst genommen werden soll, darf die Strafverfolgung nicht vor der eigenen Haustür haltmachen, nur weil solche Straftaten im Ausland begangen wurden. Universelle Menschenrechte erfordern auch eine universelle Durchsetzung.