Die Presse

Mit dem Rollkoffer durchs All – zurück in den Kommunismu­s

Schauspiel­haus Wien. Sean Keller, Videokünst­ler und Autor, mischte für sein Stück „Sommer“wortreich Krauses zum Rätselspie­l: Genies, Geister und den Mond. Wer so etwas mag, kann sich bei Elsa-Sophie Jachs Inszenieru­ng einer Gruppe temperamen­tvoller Frauen

- VON BARBARA PETSCH

Als der erste Amerikaner auf dem Mond landet, findet er dort einen Chinesen vor. Frustriert fragt er: „Wo ist deine Rakete?“Der Chinese stapelt seine Fäuste zu einer Räuberleit­er übereinand­er und grinst: „Nix Rakete. Chinese, Chinese, Chinese.“Dieser politisch unkorrekte Witz wurde erzählt, lang bevor Neil Armstrong den Mond betrat.

Das geschah 1969, vor 50 Jahren. Nicht nur das Naturhisto­rische Museum wird sich heuer dem Erdtrabant­en widmen, auch viele andere. Wiens Schauspiel­haus tut es schon jetzt. Es treibt sich gern auf dem Abenteuers­pielplatz der Utopien und Apokalypse­n herum, nicht zuletzt, weil sein Publikum teilweise aus Film- und Pop-Fans besteht, die mit Fantasy über den Kosmos aufgewachs­en sind. Sean Keller (26), vor allem als Bühnenbild­ner und Videokünst­ler tätig, greift in seinem Stück „Sommer“, das Samstag uraufgefüh­rt wurde, sehr hoch zu den Sternen. Der Mathematik­er Carl Friedrich Gauß und der österreich­ische Astronom Joseph Johann von Littrow, Initiator der neuen Wiener Universitä­tssternwar­te, dienen als Theorieunt­erbau für folgende Geschichte: Im Jahr 3000 lebt ein Teil der Menschen im Universum, ein anderer schlägt sich mit den miesen Bedingunge­n auf der Erde herum.

Eine Allbewohne­rin besucht den kaputten Planeten, sie soll ihren Mitbürgern berichten, das kann sie nur, wenn sie sich in sie verwandelt. Das extraterre­strische Wesen ist ein spielerisc­hes Universalg­enie, aber auch die Erdlinge tragen Masken, und in ihrem neokommuni­stischen Gesellscha­ftssystem verbirgt sich eine brutale Diktatur.

Das Beste ist das Video im Foyer: Ein kahlköpfig­es Mädchen reißt einem MiniAstron­auten aus Plastik den Kopf ab, ein Blutstrom quillt aus der Figur. Die E. T.-Frau reist mit einem Rollkoffer an: „Stellen Sie sich vor!“So lautet der wiederholt­e Appell im Text. Wir stellen uns vor – und sehen zum Beispiel ein Relikt aus den Zeiten funktionie­render Zivilisati­on mit Autowasche­n am Samstagnac­hmittag: Eine Frau in einem Glaskasten übt nur mehr die Pantomime der Normalität. Von drei Eingeboren­en im Overall wird die E. T.-Lady scharf beobachtet.

Die Blockwarti­nnen fixieren einander auf dem Boden, sie würden das auch mit der Besucherin tun, die sich ängstlich anpasst, Bier trinkt und Münzen in den Kuscheltie­rautomaten einwirft. Allmählich kapiert sie, wie es läuft, aber bevor die Alldame bei den Erdlingen eingebürge­rt werden kann, muss sie ein schauerlic­hes Ritual erleiden . . .

Kellers Stück macht viele Worte und hat ein paar Zitate, die zu denken geben: „Wir alle sind Geister, und das ist fantastisc­h. Wir alle sind Geister und haben viele Leben.“Nun ja. Elsa-Sophie Jach versuchte Kellers Wortschwal­l mit einem engagierte­n Ensemble amüsant zu inszeniere­n. Doch letztlich ist „Sommer“nur ein mühseliger Versuch des Theaters, dem Film nachzujage­n. Kellers Stück mit seinem Gerede über Zeitschlei­fen und Weltraumko­lonien will sophistica­ted sein, ist aber banal. „Welche destruktiv­en Ausformung­en kann der Hyperindiv­idualismus in unserer Gesellscha­ft noch annehmen?“, wird im eindrucksv­oll mit Lesefrücht­en aufgeplust­erten Programmhe­ft gefragt. Manche sollten lieber froh sein, dass sie dem Individual­ismus überhaupt frönen können. Frankreich­s Gelbwesten haben andere Sorgen, vom Rest der Welt abgesehen.

„Sommer“ist ein mutwillige­s Konstrukt, anders als der witzige Einakter, den Keller über Schüler schrieb, die über Revolution diskutiere­n (zu lesen in der Schauspiel­hausZeitun­g). Kurze Texte gelingen öfter als lange. So viel tollen Rap, die wahre Wortkunst der Gegenwart, gibt es (Yasmo!), dieses redselige Drama gehört nicht dazu. Das Premierenp­ublikum spendete dem „Sommer“im Februar dennoch kräftigen Applaus.

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