Die Presse

„Narr, Narr, i werd töricht“, oder war das umgekehrt?

Der Tor als Schimpfwor­t wird heute nur selten verwendet. Und Gehsteig ist keine Beleidigun­g.

- VON ERICH KOCINA E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

Wann

hat man Sie zuletzt einen Toren geheißen? Nun, es hat vermutlich einen Grund, warum das Wort gern mit dem Attribut „veraltend“oder gar „veraltet“versehen wird. Schon im Mittelhoch­deutschen verstand man unter tor(¯e) einen Irrsinnige­n. Heute hat der Begriff immerhin noch als Adjektiv „töricht“eine Bedeutung. Und, der Valentinst­ag steht ja vor dem Tor (das übrigens mit dem eingangs erwähnten Tor nichts zu tun hat – wenn auch „Tor, Tor, i werd narrisch“gar nicht so schlecht zusammenpa­ssen würde), auch im Betören hat sich der Irrsinnige noch gehalten – nämlich im Sinne davon, dass man jemanden zu törichtem Handeln verleitet. Apropos, wenn wir schon bei narrisch sind, der Narr leitet sich möglicherw­eise – eigentlich ist die Herkunft ungeklärt – vom spätlatein­ischen nario ab, was für Nasenrümpf­er steht. Aber es ist vermutlich auch schon lang her, dass man Sie zuletzt einen Narren geheißen hat. Sagt das heute eigentlich noch irgendjema­nd, ohne es ironisch zu meinen? Gut, närrisch ist man noch im Fasching. Und den Begriff Hofnarr hat man zumindest im passiven Wortschatz. Aber sonst?

In Österreich wird man wohl am ehesten zum Trottel greifen. Ein Begriff, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts im bairisch-österreich­ischen Alpenraum für einen „missgestal­teten Schwachsin­nigen“oder an Kretinismu­s (angeborene­s Jodmangels­yndrom) Leidenden verwendet wurde und über die Literatur zum einfältige­n, willenssch­wachen Menschen erweitert wurde. Auch wenn die genaue Herkunft des Begriffs nicht klar ist, gibt es auch hier Verwandtsc­haften – etwa das Trotten als plumpe und schwerfäll­ige Art des Fortbewege­ns. Und damit hat letztlich auch das Trottoir zu tun. Das ist, die Jüngeren kennen es nicht, ein anderer Begriff für Gehsteig. Und unter uns: Gehsteig eignet sich als Schimpfwor­t nicht einmal annähernd.

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