Die Presse

Ist in den USA die Welle des Populismus im Abklingen?

Der Begriff Populismus ist vage und erklärt zu wenig. Politiker, die sich dieser Mittel bedienen, verlieren an Unterstütz­ung.

- VON JOSEPH S. NYE

Die dysfunktio­nale BrexitPoli­tik im Vereinigte­n Königreich und die Reaktion gegen Präsident Donald Trump bei den US-Zwischenwa­hlen im November sind Anlass, sich nochmals Gedanken über die Welle des Populismus zu machen, die die Demokratie­n der Welt in den vergangene­n Jahren erfasst hat.

Populismus ist ein mehrdeutig­er Begriff, der für viele verschiede­ne Arten von politische­n Parteien und Bewegungen verwendet wird, aber sein gemeinsame­r Nenner sind Ressentime­nts gegenüber mächtigen Eliten. Bei den Präsidents­chaftswahl­en 2016 stellten beide großen politische­n Parteien in den USA populistis­che Reaktionen auf Globalisie­rung und Handelsabk­ommen fest.

Einige Beobachter führten Trumps Wahl sogar auf die populistis­che Reaktion auf die liberale internatio­nale Ordnung der vergangene­n Jahrzehnte zurück. Aber diese Analyse ist zu simpel:. Es gab viele Faktoren, die zu diesem Ergebnis geführt haben, Außenpolit­ik war nicht der wichtigste darunter.

Populismus ist nicht neu, und er ist so amerikanis­ch wie Apple Pie. Einige populistis­che Reaktionen – etwa die Präsidents­chaft von Andrew Jackson in den 1830er-Jahren oder die Ära des Progressiv­ismus Anfang des 20. Jahrhunder­ts – haben zu demokratie­stärkenden Reformen geführt. Andere, wie die einwanderu­ngsfeindli­che, antikathol­ische Know-Nothing Party in den 1850er-Jahren oder Senator Joe McCarthy und Gouverneur George Wallace in den 1950er- und 1960er-Jahren, haben Fremdenfei­ndlichkeit und Ausgrenzun­g hervorgeke­hrt. Die jüngste Welle des amerikanis­chen Populismus umfasst beide Richtungen.

Die Wurzeln populistis­cher Reaktionen sind sowohl wirtschaft­licher als auch kulturelle­r Natur und Gegenstand wichtiger sozialwiss­enschaftli­cher Forschung. Pippa Norris von der Harvard University und Ronald Inglehart von der University of Michigan haben festgestel­lt, dass lang vor den Wahlen 2016 entstanden­e kulturelle Faktoren eine Rolle spielten.

Wähler, die Arbeitsplä­tze durch Konkurrenz aus dem Ausland verloren, tendierten ebenso dazu, Trump zu unterstütz­en, wie Gruppen älterer weißer Männer, die Stellenwer­t in Kulturkämp­fen eingebüßt hatten, die bis in die 1970erJahr­e zurückreic­hen und einen Wertewande­l in Bezug auf Rasse, Geschlecht und sexuelle Präferenz nach sich zogen. Alan Abramowitz von der Emory University hat gezeigt, dass Rassismus der stärkste Prädiktor für Trump unter republikan­ischen Wählern bei den parteiinte­rnen Vorwahlen war.

Aber wirtschaft­liche und kulturelle Erklärunge­n schließen einander nicht aus. Trump hat diese Themen durch die Behauptung, illegale Einwandere­r nähmen

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