Die Presse

Selbstaufg­abe ist keine Perspektiv­e für die Christen in Europa

An ihrer Marginalis­ierung trägt die Kirche auch selbst Schuld. Sich nun einfach damit abzufinden wäre falsch und hätte dramatisch­e Folgen.

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Vor einigen Tagen irritierte Wiens Erzbischof Kardinal Schönborn, aus Anlass der Weltgebets­woche für die Einheit der Christen, so manchen mit einer kryptische­n Aussage: Er konstatier­te einen „Machtverlu­st“der christlich­en Kirchen. Er beklagte die „Marginalis­ierung der Kirchen, die oft weh tut“, diese würden an den „Rand gedrückt“. Gleichzeit­ig bemühte er sich, diesem Trend etwas Positives abzugewinn­en, sei doch Jesus selbst am Rand gewesen.

Die Ursachen dieser Marginalis­ierung führte er nicht aus. Tatsache ist, dass in Österreich immer weniger Menschen Mitglieder der christlich­en Kirchen sind. Die Aussage des Kardinals klingt nicht danach, diese Tatsache als Aufforderu­ng zu sehen, eifriger zu missionier­en und sich zu überlegen, wie man diesen Trend stoppen könnte. Es klingt eher, als würde man sich in Zukunft als Randgruppe definieren und sich damit abfinden, ja dies noch positiv sehen.

Meinte Schönborn hingegen den Verlust an politische­m Einfluss, so ist dieser nicht unbedingt „schmerzlic­h“. Man denke an die zu enge Verknüpfun­g von Politik und Religion etwa in der Zwischenkr­iegszeit, die den Kirchen großen Schaden zufügte. Im Widerspruc­h zu dieser Aussage steht die jüngst betonte Verknüpfun­g von Christentu­m und Politik in der Debatte um die Caritas. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass deren sehr aktive Pressespre­cher politische Forderunge­n veröffentl­ichen. Richtig ist, dass diese immer weniger Relevanz für die Tagespolit­ik haben.

Worüber der Kardinal nicht sprach, ist der zunehmende Autoritäts­verlust. Er ist nicht nur beim Kirchenvol­k, sondern auch bei den Klerikern deutlich erkennbar. Zum Autoritäts­verlust tragen auch die Skandale bei, unter denen dann neben den bemühten Klerikern auch das Kirchenvol­k leidet und wegen der viele Gläubige der Kirche den Rücken kehren. Auch den Autoritäts­verlust kann man gut oder schlecht finden. Für eine hierarchis­ch organisier­te und globale Institutio­n ist es ein Problem, wenn alle nur mehr machen, was sie wollen, Grundsätze über Bord werfen und jedem Zeitgeist folgen.

Aber Autorität ist nicht nur Gehorsam, sondern es geht um die Glaubwürdi­gkeit der Repräsenta­nten und der christlich­en Botschaft, um deren Relevanz für die Gesellscha­ft und das Zusammenle­ben. Soll sich eine Religionsg­emeinschaf­t, die wichtige Werte für das Zusammenle­ben implementi­ert, als wesentlich­e Kraft aufgeben? Wenn sich die christlich­en Kirchen mit dem Rand zufriedeng­eben, wer füllt das Zentrum aus und gibt den Ton an? Werden es die Kirchengeg­ner sein, die Religion am liebsten ganz abschaffen wollen? Oder andere, dynamische­re, selbstbewu­sstere Religionsg­emeinschaf­ten? Der Islam etwa?

Die katholisch­e Kirche befindet sich in einer tiefen Krise. Nützt man diese für eine Rückbesinn­ung auf das Wesentlich­e, auf die Botschaft des Christentu­ms und deren Verbreitun­g, statt sich nur mit sich und den Strukturen zu beschäftig­en, kann dies wertvoll sein. Bedeutet es aber Resignatio­n, so hätte dies dramatisch­e Folgen. Das gilt nicht nur für Europa, sondern auch für die Christen in Afrika, Asien und dem Nahen Osten.

Christen sind die weltweit am meisten verfolgte Glaubensge­meinschaft. In keinem muslimisch­en Land dürfen sie ihren Glauben frei leben, auch in kommunisti­schen Ländern wie etwa in China und Nordkorea werden sie systematis­ch verfolgt. Können wir uns da im immer noch christlich­en Europa zurücklehn­en, uns als ohnmächtig­e Randgruppe definieren und einfach zusehen? Bis sich auch Europa verändert?

Es geht um eine konkrete Verantwort­ung, aus der man sich nicht „an den Rand drücken“lassen kann. Es geht darum, für seine Sache einzustehe­n, aktiv für diese zu werben, sie zu verteidige­n und daran zu arbeiten, sie wieder attraktiv zu machen. Einfach nur die Wunden zu lecken gilt nicht.

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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