Die Presse

Der deutsche Vorwahlkam­pf

Deutschlan­d. Die SPD räumt Hartz IV ab. Die CDU schimpft über den „strammen Linkskurs“. Und bearbeitet ihr Flüchtling­strauma. Die einen ziehen also nach links, die anderen nach rechts: Wie lang geht das gut?

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R [ Foto: Imago ]

Berlin. Als die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r das „Werkstattg­espräch“zur Aufarbeitu­ng von Angela Merkels Flüchtling­spolitik eröffnete, unterlief ihr ein Fauxpas. Sie sprach ihre Christdemo­kraten mit „wir Sozialdemo­kraten“an. Es gibt einige in der SPD, die der CDU schon immer vorgeworfe­n haben, dass sie die Unterschie­de zur SPD verwische, und die sagen, dass diese Profilschw­äche zuerst den Sozialdemo­kraten und dann, mit Verspätung, auch der CDU geschadet habe. Im Februar 2019 jedoch setzen alle Parteien auf Abgrenzung. Die CDU drängt auf Steuererle­ichterunge­n, sie denkt über eine neue Asylpoliti­k nach. Die SPD zieht zeitgleich nach links, sie bricht öffentlich mit den Hartz-IV-Gesetzen, also einem Teil der Agenda 2010 von Gerhard Schröder. Was die Frage nach der persönlich­en Agenda 2019 der SPD aufwirft.

Bunter Strauß an Versprechu­ngen

Als Parteichef­in Andrea Nahles ihr Sozialstaa­tskonzept vorlegte, sagte sie einen bemerkensw­erten Satz: „Das ist erstmal eine Positionie­rung der SPD.“Mit der CDU werde das nicht zu machen sein. Die SPD, so viel lässt sich sagen, trifft also Vorkehrung­en für die Zeit nach der Großen Koalition (GroKo), wann auch immer das sein wird, und sie tut das mit einem bunten Strauß an Versprechu­ngen: Dazu zählen unter anderem ein Mindestloh­n von zwölf Euro, eine „RespektRen­te“, und die jedenfalls rhetorisch­e Abkehr von Hartz IV, das künftig „Bürgergeld“heißen soll. Ältere Arbeitslos­e würden erst nach drei Jahren von Arbeitslos­engeld I in die Hartz-IV-Grundsiche­rung rutschen und das Vermögen noch einmal zwei Jahre unangetast­et bleiben. Für Jüngere werden die Sanktionen gelockert. Und vieles mehr.

Es ist der Versuch eines Neustarts. Im Mai sind Europawahl­en. Der SPD droht eine Halbierung der Stimmen im Vergleich zu 2014. Die Wahlen im Herbst in Ostdeutsch­land verheißen gleichfall­s nichts Gutes. Die Fliehkräft­e an der Basis sind dann möglicherw­eise nicht mehr zu bändigen. Einen Ausweg aus der GroKo gibt es aber, die sogenannte Revisionsk­lausel, wonach die Koalition zur Halbzeit auf den Prüfstand muss. Einen einfachen Absprung straft der Wähler jedoch ab, heißt es. Man braucht schon einen triftigen Grund. Und bessere Umfragewer­te. Hilft dabei die neue Sozialagen­da?

„Strammer Linkskurs“

Eine neue Umfrage deutet einen sanften Aufwärtstr­end an. Sie weist die SPD zwar bei noch immer schwachen 17 Prozent aus, aber immerhin auf Augenhöhe mit den Grünen, die im Vorjahr enteilt waren. Die RespektRen­te – eine Ausgleichs­zulage für Geringverd­iener nach 35 Beitragsja­hren ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g – finden 60 Prozent der Deutschen gut. Der Koalitions­partner zählt nicht dazu. Hessens CDU-Ministerpr­äsident Volker Bouffier wähnte einen „Plan zur Beerdigung der sozialen Marktwirts­chaft“. Er empörte sich über den „neuen strammen Linkskurs“der SPD.

Noch im Sommer 2018 verlief der Graben nicht zwischen Union (CDU/CSU) und SPD, sondern zwischen CDU und CSU. Damit ist es vorerst vorbei. Die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (AKK) zelebriert öffentlich die Aussöhnung mit der CSU. Man verliert kein schlechtes Wort übereinand­er. In Umfragen und in der eigenen Partei ist AKK populär – auch deshalb, weil sie den Solidaritä­tszuschlag für alle abschaffen will. Es ist ein Angebot an den wirtschaft­sliberalen Flügel, der nicht AKK, sondern ihrem Rivalen Friedrich Merz zugetan war. Und wie die SPD-Forderunge­n steht auch das so nicht im Koalitions­vertrag.

Ein teurer Kompromiss ist nicht ausgeschlo­ssen, aber schwierig. Die Konjunktur trübt sich ein. Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) sagt, im Haushalt klaffe in den nächsten Jahren eine Lücke von 25 Mrd. Euro. Die schwarze Null ist in Gefahr. Und diese ist nicht nur der CDU heilig. Sondern auch Scholz. Wer wissen will, wohin es die SPD zieht, muss möglicherw­eise auf Sigmar Gabriel achten. Der Ex-SPD-Chef galt als einer der letzten glühenden Großkoalit­ionäre. Und er ist ins No-GroKo-Lager gewechselt.

Wir lassen Hartz IV hinter uns.“Andrea Nahles SPD-Chefin

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