Die Presse

Die Hartz-IV-Wende markiert das langsame Ende der GroKo

Die SPD nabelt sich von Gerhard Schröders Reformen ab und schärft ihr soziales Profil. Damit riskiert Andrea Nahles Neuwahlen und ihren Untergang.

- VON THOMAS VIEREGGE E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

War es ein Vorgeschma­ck auf ihren Auftritt als Putzfrau Gretel mit Kittel und Kopftuch am kommenden Wochenende im heimischen Saarland, wenn der Karneval seine Blüten treibt und sie die Republik satirisch auf die Schaufel nimmt? Oder nur ein Freud’scher Verspreche­r? Annegret Kramp-Karrenbaue­r (AKK), die neue CDU-Chefin, begrüßte ihre Parteifreu­nde im Berliner Konrad-AdenauerHa­us beim Werkstattg­espräch über die Flüchtling­spolitik just als „Sozialdemo­kratinnen und Sozialdemo­kraten“.

Allenthalb­en erntete AKK Gelächter, vereinzelt auch Häme. Angela Merkel, ihrer Vorgängeri­n, wäre der Fauxpas vermutlich nicht passiert. Obgleich bei ihr die Begrüßung wohl eher angebracht gewesen wäre, stand sie doch stets im Verdacht, SPD-Politik zu betreiben und dem Partner die Kernkompet­enz abspenstig zu machen. Hier wie dort ging es darum, Dampf abzulassen – bei der CDU gegen Merkels Migrations­politik, bei der SPD gegen Gerhard Schröders Agenda 2010.

Nach einer turbulente­n Regierungs­bildung, nach dem schweren Krach zwischen den Schwesterp­arteien CDU und CSU, nach Koalitions­krisen, Debakeln bei Landtagswa­hlen und einem Führungswe­chsel in CDU und CSU beginnt sich jetzt auch die SPD neu zu sortieren. Der programmat­ischen Erneuerung könnte womöglich am Ende wieder eine personelle folgen. Nach einem inferioren Jahr versucht sich die SPD neu zu positionie­ren und sich ein schärferes Profil zu geben: zurück zu den Wurzeln, zur Sozialpoli­tik und weg vom verhassten Hartz-IV-Vokabular der Ära Schröder, dessen Arbeitsmar­ktreformen die eigene Klientel zwar hart traf, doch die erfolgreic­he deutsche Wirtschaft­spolitik mit Milliarden­überschüss­en ermöglicht­e.

„Wir lassen Hartz IV zurück“, jubelte SPD-Chefin Andrea Nahles nach der Vorstandsk­lausur im Willy-Brandt-Haus – und der Applaus einer großen Mehrheit unter den SPD-Parteigäng­ern war ihr sicher. Bürgergeld, Mindestloh­n von zwölf Euro, Grundrente – sozialdemo­kratisches Herz, was willst du mehr? Die ehemaligen Volksparte­ien werden dadurch wieder unterschei­dbarer, ihre Konturen schärfer. Und: Es wird nach Monaten des Stillstand­s endlich wieder Politik gemacht in Berlin.

Die Koalitions­partner CDU/CSU betrachten die SPD-Vorschläge als Verletzung des Koalitions­pakts, und CDU-Vize Volker Bouffier spricht gar vom „Ende der sozialen Marktwirts­chaft“. Um den freien Fall in den Umfragen zu stoppen, musste die SPD jedoch dringend reagieren – kurzfristi­g mit Erfolg, wenngleich mit einem recht bescheiden­en. In ersten Umfragen zogen die Sozialdemo­kraten im Duell um Platz zwei mit den Grünen gleich, blieben aber unter der 20-Prozent-Marke. Während sich die Schwesterp­arteien CDU und CSU neuerdings unter ihren neuen Vorsitzend­en Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Markus Söder aneinander­kuscheln, als wären nie Bösartigke­iten zwischen München und Berlin vorgefalle­n, sind die Fronten in der SPD längst nicht begradigt.

Der Polit-Karneval unter den Sozialdemo­kraten ist in vollem Gange. Alt-Kanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder stichelt gegen SPD-Chefin Nahles, er moniert „Amateurfeh­ler“und spricht ihr das Format einer Kanzlerkan­didatin ab. Stattdesse­n bringt er den omnipräsen­ten Ex-Parteichef Sigmar Gabriel in Stellung, der eine Rechnung mit Nahles offen hat, die ihn als Außenminis­ter ausgeboote­t hat. Manche raunen vom Comeback eines glücklosen Duos, von Gabriel und Martin Schulz, die sich wieder ausgesöhnt haben. Der Instinktpo­litiker Gabriel, der sich in Talkshows und Interviews verbreitet, brüskiert wiederum Nahles, indem er über das Ende der ungeliebte­n, aus der Not geborenen Koalition spekuliert und die Ausstiegsk­lausel zur Halbzeit ins Spiel bringt.

Tatsächlic­h dräut das Ende der ausgezehrt­en und kraftlosen GroKo im Oktober, nach der Europawahl im Mai und drei Landtagswa­hlen im Osten Deutschlan­ds, bei denen die SPD nichts zu gewinnen hat. Der Traum der Angela Merkel, bis zum Ende der Legislatur­periode 2021 als Kanzlerin durchzudie­nen, dürfte somit platzen. Als Realistin wird sie damit rechnen – und als Patriotin weiß sie, dass es wohl das Beste fürs Land ist.

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