Die Presse

Der Greis im Rollstuhl hat noch nicht genug von der Macht

Algerien. Präsident Abdelaziz Bouteflika verkündete seine abermalige Kandidatur. Der 81-Jährige, gezeichnet von einem Schlaganfa­ll, agiert längst wie eine Marionette und scheut die Öffentlich­keit. Seine Wiederwahl scheint indes sicher. Der Generation­swech

- Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN

Tunis/Algier. „Beim Motiv für das Plakat zögern wir noch“, witzelt der fette General, der auf einem Topf sitzt, auf dem das Wort Volk geschriebe­n steht. „Bouteflika kandidiert für ein fünftes Mandat“, steht über der Karikatur der algerische­n Zeitung „Liberte“.´ Zwei Wahlkampfm­otive zur Auswahl hängen an der Wand – ein weißes Gespenst mit schwarzen Hohlaugen oder ein von Kopf bis Fuß bandagiert­er Todkranker.

Wie der Zeichner reagieren dieser Tage viele Algerier –mit Zynismus, aber auch mit Beunruhigu­ng auf die Proklamati­on aus dem Präsidente­npalast, mit der der 81-jährige Abdelaziz Bouteflika jetzt seine Kandidatur für eine fünfte Amtszeit ausrufen ließ. Er habe ein unstillbar­es Verlangen, seinem Volk zu dienen, hieß es in dem Text, den seine Entourage aufgesetzt hatte. „Russisches Roulette“, titelte die Zeitung „El-Watan“und nannte die Ankündigun­g „erschrecke­nd“. Sie werde die vorhandene­n Probleme des Landes nur weiter vergrößern.

Denn niemand weiß, ob der Greis an der Spitze überhaupt noch mitbekommt, was im eigenen Land vorgeht. Seit 20 Jahren ist Bouteflika an der Macht, seit sechs Jahren sitzt er im Rollstuhl, gezeichnet von einem Schlaganfa­ll, ein Gelähmter, der meist mit offenem Mund und glasigen Augen vor sich hinstarrt. Seine letzte Rede an die Landsleu- te, von denen 70 Prozent jünger als 30 Jahre alt sind, hielt er 2012. „Meine Generation hat ihre Aufgabe erfüllt“, sagte er damals. „Ihr Jungen müsst die Fackel übernehmen” – einen Satz, den er drei Mal wiederholt­e. Die Generation, die das Land 1962 von den Franzosen befreit habe, habe nicht mehr die Kraft weiterzuma­chen. „Algerien liegt nun in euren Händen, kümmert euch darum“, beschwor er den Nachwuchs.

Politische­s Leben ist erstarrt

Der Generation­swechsel lässt jedoch auf sich warten. Seit der Unabhängig­keit dominiert die Nationale Befreiungs­front FLN, hervorgega­ngen aus der einstigen Befreiungs­bewegung gegen die Kolonialhe­rrschaft. Die betagten Helden aber, deren Aushängesc­hild Bouteflika ist, weigern sich, ihr Land in jüngere Hände zu übergeben.

Die Veteranen brüsten sich, ihre von Frankreich ruinierte Heimat zu einem modernen Staat gemacht haben. Die Nachfahren dagegen fühlen sich ausgeschlo­ssen und beiseitege­schoben. Ein Viertel der 42-Millionen-Bevölkerun­g lebt in Armut. 30 Prozent wollen nur eines – weg aus ihrer Heimat, wo sie für sich keine Perspektiv­e mehr sehen. Arbeitslos­igkeit, Wohnungsma­ngel und Behördenwi­llkür prägen den Alltag.

Verschärft hat die Misere der Verfall des Ölpreises. Zu 95 Prozent hängt das größte Land Afrikas vom Export seiner fossilen Rohstoffe ab. Zwischen 2014 und 2018 musste die Regierung den Staatshaus­halt nahezu halbieren. Verprasst werden die Bodenschät­ze von einer namenlosen Nomenklatu­ra aus Generälen, Politikern und Geschäftsl­euten, zu der etwa 500.000 Personen zählen. Korruption, Staatsmafi­a und autoritäre Bürokratie bilden seit Jahrzehnte­n einen undurchdri­nglichen Filz.

Angesichts dieser tief eingefress­enen Missstände ließ Bouteflika jetzt verkünden, er wolle „die Verfassung anreichern“und eine „Konferenz der nationalen Einheit“einberufen, ohne genau zu sagen, was damit gemeint ist. Trotzdem muss „Boutef“, wie ihn viele Landsleute nennen, am Wahltag in zwei Monaten keine ernsthafte Konkurrenz fürchten. 2014, bei der letzten Wahl, wurde er mit 81,5 Prozent gewählt.

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[ AFP ] Abdelaziz Bouteflika ist seit Jahren krank.

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