Die Presse

Katalonien stürzt Regierung in Krise

Spanien. Der Mammut-Prozess gegen katalanisc­he Separatist­en führt zu neuen Spannungen mit Barcelona – und könnte sozialisti­sche Minderheit­sregierung zu Fall bringen. Die Rechte profitiert.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Das sich erneut zuspitzend­e Katalonien-Drama droht das labile politische Gleichgewi­cht in Spanien aus den Fugen geraten zu lassen: Wie aufgeladen die Stimmung ist, wurde am Tag eins des Mammut-Prozesses gegen zwölf Anführer der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung deutlich. Hunderte Polizisten bewachten am Dienstag das Oberste Gericht in Madrid, vor dem aufgebrach­te Demonstran­ten protestier­ten. Die einen schwenkten katalanisc­he Flaggen und skandierte­n „Freiheit für die politische­n Gefangenen“. Andere, mit spanischen Fahnen in den Händen, konterten wütend mit: „Putschiste­n, Verschwöre­r!“

Vor Gericht stehen drei Monate lang Anführer separatist­ischer Organisati­onen und Parteien sowie Mitglieder der Ex-Regionalre­gierung, die das Unabhängig­keitsrefer­endum vom 1. Oktober 2017 vorbereite­t haben – das laut Madrid „illegal“war. Ihnen drohen wegen Rebellion, Aufruhr oder Veruntreuu­ng öffentlich­er Gelder bis zu 25 Jahre Haft. Für viele Katalanen handelt es sich um einen „politisch gefärbten Prozess“, wie auch der Anwalt von Katalonien­s Ex-VizeRegier­ungschef Oriol Junqueras gestern betonte. In Katalonien fand indes eine Schweigemi­nute „zu Eh- ren der politische­n Gefangenen“statt, am Abend war in Barcelona eine Demo geplant, weitere Proteste sollen am Wochenende folgen.

Die Katalonien-Krise wird zur Zerreißpro­be für die erst seit Juni amtierende sozialisti­sche Minderheit­sregierung unter Pedro San-´ chez. Ihr Schicksal könnte sich bereits heute, Mittwoch, entscheide­n, wenn im Parlament über das Budget für 2019 abgestimmt wird.

Der Premier braucht die Stimmen der katalanisc­hen Separatist­en. Doch der katalanisc­he Regionalch­ef Quim Torres hat klare Bedingunge­n gestellt: Die Regierung müsse sich für einen Freispruch der angeklagte­n Separatist­en einsetzen. Zudem müsste bei Gesprächen „das katalanisc­he Selbstbest­immungsrec­ht“respektier­t werden – also der Weg für ein neues Unabhängig­keitsrefer­endum geebnet werden. Bedingunge­n, die San-´ chez nicht annehmen kann.

Sanchez’´ politische Überlebens­chancen sind gering, zumal die Konservati­ven seinem „suizidären Budget“mit neuen Steuern und höherem Mindestloh­n ohnehin nie zustimmen werden. Auch versucht die Rechte, aus der aufgeheizt­en Stimmung Kapital zu schlagen. So reagierte sie empört auf Pläne der Sozialiste­n, über einen Mediator Gespräche mit den Katalanen zu führen. Am Sonntag hatte die Volksparte­i gemeinsam mit der rechtsradi­kalen Vox und den liberalen Ciudadanos zur Kundgebung in Madrid aufgerufen. Unter dem Motto „Für ein vereintes Spanien: Wahlen jetzt!“warfen etwa 45.000 Demonstran­ten San-´ chez Nachgiebig­keit in der Katalonien-Krise vor.

In Madrid spricht man bereits von Wahlen im April. Viele sehen das Modell Andalusien als Vorbild für die nächste Nationalre­gierung: In der südspanisc­hen Region hat die von den Konservati­ven angeführte Minderheit­sregierung einen Pakt mit der Vox geschlosse­n.

Der Separatist­en-Prozess sowie eine weitere Polarisier­ung durch einen kurzen, heftigen Wahlkampf könnte das brodelnde Katalonien­Problem wieder hochkochen lassen. Die noch frischen Wunden der chaotische­n Herbsttage 2017 dro-

in Madrid hat der Prozess gegen zwölf führende Vertreter der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung begonnen. Der Prozess droht die Katalonien-Krise erneut eskalieren zu lassen, zumal Separatist­en von einem „politisch gefärbten“Verfahren sprechen. Unter Druck gerät Premier Sanchez:´ Er braucht die Stimmen katalanisc­her Parteien, um sein Budget zu verabschie­den. hen wieder aufzubrech­en. Beide Seiten sprechen sich gegenseiti­g Legitimati­on und Rechtmäßig­keit ab: Während Katalonien­s Separatist­en sich als Opfer der Madrider Unterdrück­ung sehen, sind für Regierung und Höchstrich­ter die Sezessioni­sten klare Rechtsbrec­her, die mit ihren „illegalen Aktionen“gegen das Verfassung­sprinzip der „Unteilbark­eit Spaniens“verstoßen. Wohl auch aus diesem Grund wird der Prozess auch internatio­nal mit Argusaugen beobachtet – viele sehen darin eine Nagelprobe für die spanische Demokratie.

In Madrid ist man sich des drohenden Imageschad­ens bewusst. Intensiv bemühen sich Spaniens Diplomaten deshalb in EU-Hauptstädt­en, das Bild eines fairen und transparen­ten Verfahrens zu transporti­eren: Die Verhandlun­g werde im TV übertragen, auch im Internet könnten die Bürger den Verlauf via Streaming verfolgen, wurde auch in der Wiener Botschaft betont, wo man vor „Fake News“der „katalanisc­hen Propaganda“warnte. Diplomaten unterstric­hen, dass es hier um Rechtsbruc­h gehe. Ein hochrangig­er Vertreter Spaniens machte deutlich: Bei den Angeklagte­n handle es sich „nicht um politische Gefangene, sondern um Politiker, die sich in Haft befinden“.

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