Katalonien stürzt Regierung in Krise
Spanien. Der Mammut-Prozess gegen katalanische Separatisten führt zu neuen Spannungen mit Barcelona – und könnte sozialistische Minderheitsregierung zu Fall bringen. Die Rechte profitiert.
Das sich erneut zuspitzende Katalonien-Drama droht das labile politische Gleichgewicht in Spanien aus den Fugen geraten zu lassen: Wie aufgeladen die Stimmung ist, wurde am Tag eins des Mammut-Prozesses gegen zwölf Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung deutlich. Hunderte Polizisten bewachten am Dienstag das Oberste Gericht in Madrid, vor dem aufgebrachte Demonstranten protestierten. Die einen schwenkten katalanische Flaggen und skandierten „Freiheit für die politischen Gefangenen“. Andere, mit spanischen Fahnen in den Händen, konterten wütend mit: „Putschisten, Verschwörer!“
Vor Gericht stehen drei Monate lang Anführer separatistischer Organisationen und Parteien sowie Mitglieder der Ex-Regionalregierung, die das Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 vorbereitet haben – das laut Madrid „illegal“war. Ihnen drohen wegen Rebellion, Aufruhr oder Veruntreuung öffentlicher Gelder bis zu 25 Jahre Haft. Für viele Katalanen handelt es sich um einen „politisch gefärbten Prozess“, wie auch der Anwalt von Kataloniens Ex-VizeRegierungschef Oriol Junqueras gestern betonte. In Katalonien fand indes eine Schweigeminute „zu Eh- ren der politischen Gefangenen“statt, am Abend war in Barcelona eine Demo geplant, weitere Proteste sollen am Wochenende folgen.
Die Katalonien-Krise wird zur Zerreißprobe für die erst seit Juni amtierende sozialistische Minderheitsregierung unter Pedro San-´ chez. Ihr Schicksal könnte sich bereits heute, Mittwoch, entscheiden, wenn im Parlament über das Budget für 2019 abgestimmt wird.
Der Premier braucht die Stimmen der katalanischen Separatisten. Doch der katalanische Regionalchef Quim Torres hat klare Bedingungen gestellt: Die Regierung müsse sich für einen Freispruch der angeklagten Separatisten einsetzen. Zudem müsste bei Gesprächen „das katalanische Selbstbestimmungsrecht“respektiert werden – also der Weg für ein neues Unabhängigkeitsreferendum geebnet werden. Bedingungen, die San-´ chez nicht annehmen kann.
Sanchez’´ politische Überlebenschancen sind gering, zumal die Konservativen seinem „suizidären Budget“mit neuen Steuern und höherem Mindestlohn ohnehin nie zustimmen werden. Auch versucht die Rechte, aus der aufgeheizten Stimmung Kapital zu schlagen. So reagierte sie empört auf Pläne der Sozialisten, über einen Mediator Gespräche mit den Katalanen zu führen. Am Sonntag hatte die Volkspartei gemeinsam mit der rechtsradikalen Vox und den liberalen Ciudadanos zur Kundgebung in Madrid aufgerufen. Unter dem Motto „Für ein vereintes Spanien: Wahlen jetzt!“warfen etwa 45.000 Demonstranten San-´ chez Nachgiebigkeit in der Katalonien-Krise vor.
In Madrid spricht man bereits von Wahlen im April. Viele sehen das Modell Andalusien als Vorbild für die nächste Nationalregierung: In der südspanischen Region hat die von den Konservativen angeführte Minderheitsregierung einen Pakt mit der Vox geschlossen.
Der Separatisten-Prozess sowie eine weitere Polarisierung durch einen kurzen, heftigen Wahlkampf könnte das brodelnde KatalonienProblem wieder hochkochen lassen. Die noch frischen Wunden der chaotischen Herbsttage 2017 dro-
in Madrid hat der Prozess gegen zwölf führende Vertreter der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung begonnen. Der Prozess droht die Katalonien-Krise erneut eskalieren zu lassen, zumal Separatisten von einem „politisch gefärbten“Verfahren sprechen. Unter Druck gerät Premier Sanchez:´ Er braucht die Stimmen katalanischer Parteien, um sein Budget zu verabschieden. hen wieder aufzubrechen. Beide Seiten sprechen sich gegenseitig Legitimation und Rechtmäßigkeit ab: Während Kataloniens Separatisten sich als Opfer der Madrider Unterdrückung sehen, sind für Regierung und Höchstrichter die Sezessionisten klare Rechtsbrecher, die mit ihren „illegalen Aktionen“gegen das Verfassungsprinzip der „Unteilbarkeit Spaniens“verstoßen. Wohl auch aus diesem Grund wird der Prozess auch international mit Argusaugen beobachtet – viele sehen darin eine Nagelprobe für die spanische Demokratie.
In Madrid ist man sich des drohenden Imageschadens bewusst. Intensiv bemühen sich Spaniens Diplomaten deshalb in EU-Hauptstädten, das Bild eines fairen und transparenten Verfahrens zu transportieren: Die Verhandlung werde im TV übertragen, auch im Internet könnten die Bürger den Verlauf via Streaming verfolgen, wurde auch in der Wiener Botschaft betont, wo man vor „Fake News“der „katalanischen Propaganda“warnte. Diplomaten unterstrichen, dass es hier um Rechtsbruch gehe. Ein hochrangiger Vertreter Spaniens machte deutlich: Bei den Angeklagten handle es sich „nicht um politische Gefangene, sondern um Politiker, die sich in Haft befinden“.