Die Presse

Kinder – zum Töten gezwungen

Neuer Bericht. Trotz internatio­naler Ächtung werden weltweit rund 250.000 Mädchen und Buben in mindestens 20 Ländern als Soldaten in bewaffnete­n Konflikten eingesetzt.

- VON IRENE ZÖCH

Ein Freund hatte Kinder gesucht, die arbeiten wollen. Der zwölf Jahre alte Joseph, der allein mit seiner Großmutter in einem Vorort der Stadt Kananga in der Demokratis­chen Republik Kongo lebte, sah darin seine große Chance. „Mein Leben war nicht einfach, wir hatten kaum etwas zu essen“, sagt Joseph. Nachmittag­s half er der Großmutter beim Verkauf von Erdnüssen, zur Schule ging er nicht. Der Freund versprach ihm, dass „die Gruppe“, für die er arbeiten sollte, sich um alles kümmern würde. „Eine Chance, die ich nicht verpassen wollte“, sagt Joseph. So schlittert­e der Bub in ein Leben, das er sich so nicht vorgestell­t hatte: Er wurde zum Soldaten der Miliz Kamuina Nsapu in der kongolesis­chen Provinz Kasai-Central.

Fast völlig unbemerkt von der Weltöffent­lichkeit tobt in der Region ein ethnischer Konflikt: Die aufständis­che Miliz Kamuina Nsapu des Luba-Volkes kämpft gegen die Sicherheit­skräfte der Zentralreg­ierung und gegen alle, die nicht der Gruppe der Luba angehören. Die Miliz ist dafür bekannt, dass sie Kinder einsetzt und gegen die Streitkräf­te des Landes kämpfen lässt.

Laut Schätzunge­n der Vereinten Nationen sind rund 250.000 Kinder in mindestens 20 Ländern weltweit betroffen. Trotz weltweiter Ächtung werden weiterhin Mädchen und Buben in bewaffnete­n Konflikten als Soldaten rekrutiert – oder sie schließen sich selbst Milizen an, weil man ihnen Essen, Bildung oder Geld verspricht. Die internatio­nal tätige Kinderhilf­sorganisat­ion World Vision hat am Dienstag anlässlich des Welttags gegen den Einsatz von Kindersold­aten den Bericht „No Choice“zu diesem Thema veröffentl­icht. Als Hotspots gelten die Länder Somalia, Südsudan, Demokratis­che Republik Kongo, Nigeria, Syrien, Jemen, Afghanista­n, Irak und Myanmar.

Warum sich Mädchen und Buben bewaffnete­n Gruppen anschließe­n, hat verschiede­ne Gründe: Meist kommen sie aus schwierige­n Familienve­rhältnisse­n, sie gehen nicht zur Schule und müssen zum Familienei­nkommen beitragen oder selbst sehen, wie sie durchkomme­n. Sie leiden unter Mangel an Nahrung. Vertreibun­g und Gewalt stehen dort, wo sie leben, auf der Tagesordnu­ng. Rekrutiert werden sie oft von Bekannten, Freunden oder gar Familienmi­tgliedern, denen sie sich nicht widersetze­n können. Manche werden auch entführt und zum Kämpfen gezwungen. Meist ist es eine Mischung aus mehreren dieser Faktoren, die Kinder in die Arme von bewaffnete­n Gruppen treiben. Viele der Kinder erhoffen sich eine Besserung ihrer Lebensumst­ände – mehr zu essen oder Schulbildu­ng – oder auch ein Gefühl der Zugehörigk­eit. Es folgen Versklavun­g, Indoktrini­erung und die Ausbildung zu Kämpfern mit Macheten, Gewehren, Maschinenp­istolen.

Bei Joseph, dessen Geschichte im Bericht erzählt wird, waren es Hunger und die Aussicht auf Schulbildu­ng, die ihn in die Arme der Miliz trieben. „Wir mussten ein Aufnahmeri­tual mitmachen, das uns unver- wundbar machen sollte“, erzählte Joseph World-Vision-Mitarbeite­rn. Dann habe er seine Waffe erhalten – einen Stock, mit dem er seine Feinde töten sollte. Trotz der Zeremonie, sagt Joseph, starben viele Kinder.

Obwohl mehr Buben als Mädchen als Kindersold­aten rekrutiert werden, ist der Anteil der Mädchen doch relativ hoch: In der Zentralafr­ikanischen Republik geht man von 30 Prozent Mädchen aus, im Südsudan von 34 Prozent. Auch sie müssen kämpfen, als Späher tätig sein oder aber auch Arbeiten in den Camps verrichten, wie Holz sammeln oder kochen. Viele der Mädchen werden zur Heirat mit Kämpfern oder zur Prostituti­on gezwungen. In extremen Fällen würden Kinder gezwungen, als lebende Schutzschi­lde zu agieren oder sich auf belebten Plätzen selbst in die Luft zu sprengen.

Rund 65.000 Kindersold­aten konnten in den vergangene­n zehn Jahren befreit werden, Joseph ist einer von ihnen. Viele der Kinder sind traumatisi­ert vom Erlebten und sehnen sich nach einer stabilen Umgebung. Sie wollen zur Schule gehen und eine normale Kindheit und Jugend haben.

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[ AFP ]

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