Die Presse

„Obsttotsie­derin“und Avantgarde-Chansonni`ere

Multitalen­t. Johanna Orsini-Rosenberg ist umtriebig wie nie. Ein Theaterstü­ck, zwei TV-Serien und eine Platte buhlen um Aufmerksam­keit. Sie selbst eher nicht.

- VON SAMIR H. KÖCK

Nicht einmal 32 Jahre war der Dichter Konrad Bayer alt, als er 1964 den Freitod wählte. Seither geistert er als Mythos durch die Wiener Szene. Vertont wurde er auch schon. Etwa durch die Worried Men Skiffle Group, die eher rustikal „Glaubst I bin bled“zum Popsong machte.

Ansprechen­der war Ronnie Urinis Adaption von „Niemand hilft mir“von 1982. Seit Kurzem gibt es die erste Langspielp­latte, die sich des OEuvres des genialen Dichters annimmt. Schlicht „Chansons“nennt sich das Werk. Multiinstr­umentalist Paul Skrepek hat die Musik komponiert. Eingesunge­n hat Johanna Orsini-Rosenberg. Den Aufnahmen ging ein Stück voraus, das die beiden mehr als ein Jahr lang im Theater an der Gumpendorf­erstraße gaben. „Wir wollten noch mehr mit den Chansons der Aufführung machen, deshalb haben wir dieses Album produziert. Und jetzt geht es an die Adaption für eine Konzertrei­he“, freut sich Orsini-Rosenberg exakt an jenem Tisch im Cafe´ am Heumarkt, an dem das Coverfoto entstand.

Von besonderer Delikatess­e ist das Innencover. Konrad Bayer mit Pelzhaube in einer Fotokabine. Orsini-Rosenberg und Skrepek haben es ihm nachgemach­t. Auch auf ihren Köpfen thronen herrliche Pelzungetü­me. Die Collage ist von beachtlich­er Eindringli­chkeit. Genauso wie die Lieder, die in unterschie­dlichsten Stilen aufgenomme­n wurden. Mal beseelt, mal artifiziel­l. Grundlage des Theaterstü­cks war Bayers unvollende­ter Roman „Der sechste Sinn“. Kennengele­rnt hat ihn Orsini-Rosenberg über die 2009 verstorben­e Lyrikerin Elfriede Gerstl, bei der sie Second-Hand-Kleidung gekauft hat. „Ihre Lyrik schätze ich sehr. Über Bayers Roman hat sie einen interessan­ten Aufsatz verfasst. Der hat mich neugierig gemacht. Vom Roman selbst war ich sehr beeindruck­t. Seine Sprache hat mich sofort berührt, weil sie in den Körper geht.“

Den Stoff mit Paul Skrepek zu realisiere­n lag nahe. Man kannte einander und hat erstmals bei einer musikalisi­erten, theatralen Aufführung von H. C. Artmanns „Erlaubent, Schas, sehr heiß bitte“zusammenge­arbeitet. Artmann, zuletzt wieder von Willi Resetarits vertont, ist im Vergleich zu Bayer viel zugänglich­er. Was spricht also Heutige an Bayers Dichtung an? Orsini-Rosenberg, hinter deren herber Ausstrahlu­ng sich reichlich Humor verschanzt hält, lobt deren Ungestüm. „Sich Bilder und Gedanken ohne Kompromiss­e zu machen, wirklich frei zu sein in seiner Kunst, das gibt es heute kaum noch. Bayer hat sich einfach nichts geschissen. Heutzutage ist vieles spekulativ, oder man setzt sich

wurde Johanna Orsini-Rosenberg 1968 in Kärnten. Mit sieben Jahren kam sie nach Wien. Es folgten: Rudolf-Steiner-Schule, Geigenstud­ium, Mozarteum-Ausbildung und 1991 das Engagement ans Wiener Burgtheate­r. Heuer erscheint das Album „Chansons“mit Paul Skrepek (Non-FoodFactor­y). Im Linzer Landesthea­ter ist sie noch dreimal in „rand:ständig“zu sehen (16. 2., 2. und 9. 3.). Und sie wirkt mit im ORF-Sechsteile­r „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“unter der Regie von David Schalko (17. 2., 20. 2. und 22. 2.). gar in eine Dichtersch­ule. Autoren orientiert­en sich an Tendenzen. Konrad Bayer aber, der ist auf gar nichts aufgesprun­gen.“

Die eigene Karriere ist gleichfall­s von Kompromiss­losigkeit gekennzeic­hnet. Orsini-Rosenberg, die schon mit vier Jahren wusste, dass sie Schauspiel­erin werden will, hat im Laufe der Jahre viele Eigenprodu­ktionen realisiert. Derzeit geht es turbulent zu in ihrem Leben. In „rand:ständig“, einem Stück von Martin Plattner, spielt sie am Linzer Landesthea­ter eine „Obsttotsie­derin“. Zudem übernahm sie die Rolle der Gertrud Grunow, einer Meisterin des Bauhaus, in der deutschen Serie „Die neue Zeit“und gibt die Polizeiprä­sidentin in David Schalkos TV-Remake von Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, das morgen bei der Berlinale vorgestell­t wird.

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[ Clemens Fabry ]

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