Die Legende, im stillen Einklang mit sich selbst
Nationalheld. Ingemar Stenmark ist für Schweden weit mehr als seine 86 Weltcupsiege. Rekordjagd und Heim-WM rücken den 62-Jährigen ins ungeliebte Rampenlicht, wo er über sein Leben, den Sport und ein Treffen mit Marcel Hirscher spricht.
Nachdem am Vortag das schwedische Königspaar Carl XVI. Gustaf und Sofia im Pressezentrum in A˚re vorbeigeschaut hatten, bat am Dienstag „Skikönig“Ingemar Stenmark zur Audienz. Mit 86 Siegen hält der heute 62-Jährige nach wie vor den Rekord im Weltcup, der spätestens seit der – wenn auch letztlich vergeblichen – Jagd von Lindsey Vonn wieder in aller Munde ist. Von selbst sucht Schwedens Legende die Öffentlichkeit kaum, umso größer war deshalb der Andrang zum Gesprächstermin vor seinem Antreten im Legendenbewerb.
Beinahe ein wenig eingeschüchtert wirkt Stenmark, ein schlanker Mann mit wachem Blick, als sich zig Journalisten und Kameraleute um ihn geschart haben. Anderen Größen im Raum, wie Kjetil Andre´ Aamodt oder Luc Alphand, bleibt ganz plötzlich nur noch die Nebenrolle. Schon zu aktiven Zeiten galt Stenmark nicht als Mann großer Worte, auch jetzt sind seine Antworten knapp – aber bedeutungsvoll.
Faszinierende Skigeneration
Der eigene Rekord, über den alle sprechen, ist ihm komplett egal. „Es ist okay, drüber zu reden, aber ich glaube nicht, dass man vergleichen kann“, betont Stenmark. Marcel Hirscher und Mikaela Shiffrin werden ihn brechen, so seine Prognose, die US-Amerikanerin werde „sogar mehr als 100 gewinnen“. Eine Erklärung dafür, warum seine Bestmarke nach Jahr- zehnten der Unantastbarkeit nun gleich mehrfach attackiert wird, hat er auf „Presse“-Nachfrage nicht. „Es sind einfach außergewöhnliche Skifahrer.“
Stenmark verfolgt die Rennen aufmerksam, von Hirscher ist er fasziniert. „Er ist physisch, aber auch mental so stark. Wenn er einen Lauf verhaut, schlägt er im zweiten zurück“, charakterisiert er den siebenmaligen Gesamtsieger. Damit, dass die FIS bei ihm einst nach seiner dritten großen Kristallkugel die Regeln geändert hat – fortan zählte nur noch eine bestimmte Anzahl von Rennen pro Disziplin zur Gesamtwertung –, um seine Dominanz zu durchbrechen, hadert er nicht. „Ich habe mich schon gefragt, warum sie jetzt nichts tun. Damals waren die Österreicher dafür, jetzt sagen sie nichts“, scherzt er. Ein Gipfeltref- fen mit dem ÖSV-Superstar ist noch ausständig, ob es in A˚re so weit sein wird, kann er nicht sagen. „Ich bleibe bis Freitag, also vielleicht ergibt sich die Chance.“
Neue Ruhe als Familienvater
Im gesetzten Alter genießt Stenmark die Zeit mit der Familie. Skifahren geht er wegen Rückenproblemen kaum noch, dafür umso öfter Langlaufen. Wettkampf und Adrenalin vermisst er nicht, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen sei „schön für einen Tag“, aber nicht mehr. Überhaupt sei er ruhiger als zu aktiven Zeiten, so sein überraschendes Geständnis. „Damals habe ich ruhig gewirkt, war es innerlich aber nicht.“
Material und Pisten von heute wäre Stenmark gern gefahren, zu seinen Zeiten hätten ob der Präparierung keine fairen Bedingungen geherrscht. Mit dem Aufkommen von Kippstangen und später Carvingski büßte der Schwede in den 1980er-Jahren an Dominanz ein – neben dem Siegrekord geraten seine beiden Olympia-Goldmedaillen und fünf WM-Titel manchmal fast in Vergessenheit. Die Parallelrennen sieht der Nationalheld als gute Marketingchance für den Skisport, fürchtet aber eine neuerliche Selektion. „Es ist unfair, weil man für die Boxtechnik bei den Doppeltoren groß und schwer sein muss“, glaubt er und spricht sich für Fahnentore wie im Snowboard aus.
500 km von A˚re entfernt, in Tärnaby, wuchs Stenmark einst auf, 2006 kehrte der große Sohn nach Jahren in Monaco in die Heimat zurück. Seit 2016 ist er am lokalen Skibrillenhersteller Spektrum beteiligt, eigene Signature-Linie inklusive. Zweimal, und damit so oft wie maximal möglich, wurde der Sportstar mit der renommierten „Svenska Dagbladet“-Goldmedaille geehrt, das haben sonst nur Skifahrerin Anja Pärson und Tennisspieler Björn Borg geschafft. Bis zu 60 Prozent seiner Landsleute soll Stenmark zu Glanzzeiten vor dem Fernseher gefesselt haben, auch heute zieht er sie in seinen Bann, selbst auf ungewohntem Terrain: 2015 gewann er die schwedische Version von „Dancing Star“. An Stenmarks Popularität dürfte sich, mit oder ohne Rekord, so schnell nichts ändern.