Leichte Sprache: Das wäre doch auch etwas für den ORF!
Zum öffentlich-rechtlichen Auftrag in einer Demokratie gehört Information für alle Menschen. Speziell auch für jene, die sich beim Lesen und Verstehen schwertun.
Viele Bürgerinnen und Bürger haben sich aus diesen Debatten längst verabschiedet. Weil sie sich überfordert fühlen.
Sprache ist eine der großartigsten Erfindungen, die der Mensch gemacht hat. Eine Katze muss sich ihre Pfote auf der heißen Herdplatte verbrennen, um zu wissen, dass sie nicht draufsteigen sollte. Ein Homo sapiens hingegen kann einem anderen zurufen: Pass auf! Sprache ermöglicht es dem Menschen, Erfahrungen an andere weiterzugeben, Vereinbarungen zu treffen, einander Geschichten zu erzählen. Anders als Tiere, die sich aufgrund von Zufall oder Abstammung zu Rudeln zusammenschließen, erzeugt der Mensch sein Zusammengehörigkeitsgefühl durch Sprache: Wer versteht, gehört dazu. Wer dazugehören will, muss mitreden können. Wer mitbestimmen will erst recht.
Das weiß jeder, der Macht hat. Absolute Monarchen hielten ihre Untertanen deswegen stets auch sprachlich auf Distanz. Am Hof unterhielt man sich auf Französisch oder in aristokratischen Geheimcodes, derer das gemeine Volk nicht mächtig war. Reste dieses obrigkeitsstaatlichen Denkens haben sich bis in unsere Gegenwart erhalten: Man denke nur an jene unverständliche Amtssprache, mit der Behörden Bittsteller abwimmeln. Oder an die Juristensprache, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn jemand eingeschüchtert, verwirrt oder zum Schweigen gebracht werden soll. Der Trick ist eigentlich einfach: Menschen haben eine beschränkte Aufmerksamkeitsspanne; wenn sie sich überfordert fühlen, schämen sie sich. Viele verzichten dann darauf, auf Mitsprache zu bestehen, klinken sich einfach aus und gehen.
Nicht zu verstehen, was mit einem geschieht, erzeugt das Gefühl umfassender Ohnmacht. So ähnlich kann es einem auch mit den Nachrichten gehen. Brexit, Finanzkrise, Klimawandel, Sozialversicherungsreform: So schrecklich kompliziert das alles! Wer soll sich denn da noch auskennen? Viele Bürgerinnen und Bürger jedenfalls haben sich aus diesen Debatten längst verabschiedet. Weil sie sich überfordert fühlen. Weil sie sprachlich nicht folgen können. Oder weil sie das Gefühl haben, sie seien bei der Erörte- rung komplexer Fragen ohnehin gar nicht mitgemeint.
Dass große Teile der Bevölkerung von der Meinungsbildung ausgeschlossen sind, ist ein demokratiepolitisches Problem. In manchen Staaten wird das ernst genommen und systematisch bekämpft. Schweden etwa pflegt seit Jahrzehnten Programme in „lätt läst“(leichter Sprache): Täglich gibt es in allen Bundesländerradios und im Fernsehen fünf Minuten Nachrichten, die beinahe jeder versteht: langsam gesprochen, mit kurzen Sätzen, einfachen Wörtern. Erreicht werden damit nicht nur Zuwanderer mit anderen Umgangssprachen, sondern auch Menschen, die schlecht hören oder intellektuelle Beeinträchtigungen haben. Als Lernhilfe gibt es dazu Untertitel in 18 verschiedenen Sprachen, einen Podcast zum Nochmal-Hören und Vokabellisten zum Üben. Bei wichtigen Ereignissen, etwa vor Wahlen, werden ausführlichere Sondersendungen ausgestrahlt. Relativ wenig Aufwand ist das, mit messbar enormer Wirkung. Denn die leichte Sprache hilft nicht nur, auf dem Laufenden zu bleiben. Sie signalisiert auch: Wir wollen, dass ihr Bescheid wisst. Denn ihr gehört dazu.
Auch in Österreich leben ein bis zwei Millionen Menschen mit Lese- und Verständnisproblemen. Doch hier bemüht sich kaum jemand um sie. Die U-Bahn-Zeitungen mit ihren kurzen Texten eignen sich noch am ehesten. Der „Kurier“stellt seit einigen Jahren Nachrichten in leichter Sprache auf seine Website. Im deutschen Kinderkanal Kika gibt es täglich die großartigen „Logo!“Kindernachrichten – angeblich werden sie von mehr Erwachsenen als Kindern gesehen, so groß ist der Bedarf.
Doch im ORF, der eigentlich politische Bildung als öffentlich-rechtliche Kernaufgabe hat? Dort gibt es, außer ein paar Teletext-Meldungen, bisher nichts. Man hat sich, wie es scheint, in diesem Land damit abgefunden, dass ganze Gruppen nicht dazugehören.