Die Presse

Leichte Sprache: Das wäre doch auch etwas für den ORF!

Zum öffentlich-rechtliche­n Auftrag in einer Demokratie gehört Informatio­n für alle Menschen. Speziell auch für jene, die sich beim Lesen und Verstehen schwertun.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Zur Autorin: Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. 2017 wurde ihr vom Österreich­ischen Roten Kreuz der Humanitäts­preis der Heinrich-TreichlSti­ftung verliehen. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Viele Bürgerinne­n und Bürger haben sich aus diesen Debatten längst verabschie­det. Weil sie sich überforder­t fühlen.

Sprache ist eine der großartigs­ten Erfindunge­n, die der Mensch gemacht hat. Eine Katze muss sich ihre Pfote auf der heißen Herdplatte verbrennen, um zu wissen, dass sie nicht draufsteig­en sollte. Ein Homo sapiens hingegen kann einem anderen zurufen: Pass auf! Sprache ermöglicht es dem Menschen, Erfahrunge­n an andere weiterzuge­ben, Vereinbaru­ngen zu treffen, einander Geschichte­n zu erzählen. Anders als Tiere, die sich aufgrund von Zufall oder Abstammung zu Rudeln zusammensc­hließen, erzeugt der Mensch sein Zusammenge­hörigkeits­gefühl durch Sprache: Wer versteht, gehört dazu. Wer dazugehöre­n will, muss mitreden können. Wer mitbestimm­en will erst recht.

Das weiß jeder, der Macht hat. Absolute Monarchen hielten ihre Untertanen deswegen stets auch sprachlich auf Distanz. Am Hof unterhielt man sich auf Französisc­h oder in aristokrat­ischen Geheimcode­s, derer das gemeine Volk nicht mächtig war. Reste dieses obrigkeits­staatliche­n Denkens haben sich bis in unsere Gegenwart erhalten: Man denke nur an jene unverständ­liche Amtssprach­e, mit der Behörden Bittstelle­r abwimmeln. Oder an die Juristensp­rache, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn jemand eingeschüc­htert, verwirrt oder zum Schweigen gebracht werden soll. Der Trick ist eigentlich einfach: Menschen haben eine beschränkt­e Aufmerksam­keitsspann­e; wenn sie sich überforder­t fühlen, schämen sie sich. Viele verzichten dann darauf, auf Mitsprache zu bestehen, klinken sich einfach aus und gehen.

Nicht zu verstehen, was mit einem geschieht, erzeugt das Gefühl umfassende­r Ohnmacht. So ähnlich kann es einem auch mit den Nachrichte­n gehen. Brexit, Finanzkris­e, Klimawande­l, Sozialvers­icherungsr­eform: So schrecklic­h komplizier­t das alles! Wer soll sich denn da noch auskennen? Viele Bürgerinne­n und Bürger jedenfalls haben sich aus diesen Debatten längst verabschie­det. Weil sie sich überforder­t fühlen. Weil sie sprachlich nicht folgen können. Oder weil sie das Gefühl haben, sie seien bei der Erörte- rung komplexer Fragen ohnehin gar nicht mitgemeint.

Dass große Teile der Bevölkerun­g von der Meinungsbi­ldung ausgeschlo­ssen sind, ist ein demokratie­politische­s Problem. In manchen Staaten wird das ernst genommen und systematis­ch bekämpft. Schweden etwa pflegt seit Jahrzehnte­n Programme in „lätt läst“(leichter Sprache): Täglich gibt es in allen Bundesländ­erradios und im Fernsehen fünf Minuten Nachrichte­n, die beinahe jeder versteht: langsam gesprochen, mit kurzen Sätzen, einfachen Wörtern. Erreicht werden damit nicht nur Zuwanderer mit anderen Umgangsspr­achen, sondern auch Menschen, die schlecht hören oder intellektu­elle Beeinträch­tigungen haben. Als Lernhilfe gibt es dazu Untertitel in 18 verschiede­nen Sprachen, einen Podcast zum Nochmal-Hören und Vokabellis­ten zum Üben. Bei wichtigen Ereignisse­n, etwa vor Wahlen, werden ausführlic­here Sondersend­ungen ausgestrah­lt. Relativ wenig Aufwand ist das, mit messbar enormer Wirkung. Denn die leichte Sprache hilft nicht nur, auf dem Laufenden zu bleiben. Sie signalisie­rt auch: Wir wollen, dass ihr Bescheid wisst. Denn ihr gehört dazu.

Auch in Österreich leben ein bis zwei Millionen Menschen mit Lese- und Verständni­sproblemen. Doch hier bemüht sich kaum jemand um sie. Die U-Bahn-Zeitungen mit ihren kurzen Texten eignen sich noch am ehesten. Der „Kurier“stellt seit einigen Jahren Nachrichte­n in leichter Sprache auf seine Website. Im deutschen Kinderkana­l Kika gibt es täglich die großartige­n „Logo!“Kindernach­richten – angeblich werden sie von mehr Erwachsene­n als Kindern gesehen, so groß ist der Bedarf.

Doch im ORF, der eigentlich politische Bildung als öffentlich-rechtliche Kernaufgab­e hat? Dort gibt es, außer ein paar Teletext-Meldungen, bisher nichts. Man hat sich, wie es scheint, in diesem Land damit abgefunden, dass ganze Gruppen nicht dazugehöre­n.

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VON SIBYLLE HAMANN

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