Die Presse

Der Eiserne Vorhang im Internet

Russland. Wladimir Putin übt für den digitalen Krieg. Dafür lässt er das Internet seines Landes vom globalen Netz abkoppeln, um mehr Kontrolle zu erlangen. Der Testlauf könnte gewaltige Folgen haben.

- VON MATTHIAS AUER

Das Internet kennt keine Ländergren­zen. Theoretisc­h zumindest. Ganz praktisch arbeiten viele Regierunge­n daran, ihr Stück vom Netz stärker unter Kontrolle zu bringen. Wladimir Putin wagt den bisher radikalste­n Test in diese Richtung: Russland will sich komplett vom globalen Internet abtrennen, um sich besser vor Cyberangri­ffen der Amerikaner schützen zu können. Ob es gelingt, und was dabei alles kaputtgehe­n wird, weiß heute niemand. Vorerst ist es nur ein Testlauf, der zeigen soll, wie unabhängig das Runet, Russlands Internet, agieren kann. Das Experiment wirft viele Fragen auf. „Die Presse“hat nach Antworten gesucht.

1 DAs Internet ist doch globAl. KAnn sich eine NAtion überhAupt dAvon Abtrennen?

Um das zu verstehen, ist es hilfreich zu wissen, wie das Internet aufgebaut ist. Eine zentrale Autorität für die notwendige Infrastruk­tur gibt es nicht. Das Internet ist im Grunde ein Flickwerk an Glasfaserk­abeln, über die Daten rund um die Welt geschickt werden können. Das Rückgrat bilden ein paar Hundert Unterseeka­bel und zahllose Glasfaserl­eitungen an Land. Drahtlose Techniken und Satelliten spielen beim Datentrans­port nur eine untergeord­nete Rolle. Der Grad der Verflechtu­ng zwischen den einzelnen Technologi­en und Nationen ist enorm. Dennoch demonstrie­ren Staaten immer wieder, dass sie das Internet auch „abdrehen“können. Kongo kapselte sich rund um die Präsidente­nwahlen von der digitalen Welt ab. Ägypten schaltete das Netz 2011 ab. Hundert Prozent offline sind die Staaten aber nie.

2 RusslAnd will mehr. KAnn MoskAu ein eigenes Internet ohne den Rest der Welt bAuen?

Es ist das erklärte Ziel des Kreml, die Netzwerkin­frastruktu­r des Landes komplett vom Internet abzutrenne­n und ein eigenes Intranet zu schaffen. Das ist nach Einschätzu­ng von Experten zwar höchst komplex, aber nicht unmöglich. Zugute kommt den Russen, dass sie kaum über private Unterseeka­bel an das Netz angebunden sind (siehe Grafik). Diese gehören meist privaten Unternehme­n und können nicht einfach von Moskau gekappt werden. Kabel im eigenen Land sind hingegen leichter zu kontrollie­ren. Konkret müsste Moskau die Internetpr­ovider zwingen, alle internatio­nalen Verbindung­en zu kappen. Datenpaket­e, die etwa für die USA bestimmt sind, fänden dann den Weg nicht mehr. Sie würden im Land an Server umgeleitet, die unter russischer Kontrolle stehen. Ein zweiter Ansatzpunk­t sind die Datencente­r, in denen große Internetse­iten ihre Inhalte möglichst nahe am Kunden zwischenla­gern, damit die Seiten schneller laden. Seit 2016 sind alle Unternehme­n verpflicht­et, die Daten ihrer russischen Kunden auf russischen Servern zu lagern. Kontrollie­rt der Kreml diese Datencente­r, schafft er sich damit auch die perfekte Infrastruk­tur für staatliche Zensur.

3 WAs sind die Konsequenz­en? Können Russen dAnn noch Auf westliche Seiten zugreifen?

Ganz genau kann das derzeit wohl nicht einmal Russland selbst beantworte­n. Immerhin drängten die russischen Internetpr­ovider auf den Testlauf, da sie massive Probleme befürchten. „Es wird ein teurer und spannender Test“, sagt Aaron Kaplan von Österreich­s Computer Emergency Response Team (Cert). „Wir gehen davon aus, dass nicht viel funktionie­ren wird.“Russland hat zwar mit Yandex (quasi Google) und Mail.ru (Inhaber der beliebtest­en Facebook-Klone) eigene lokale Anbieter. Aber auch diese sind teilweise vom Zugriff auf internatio­nale Software abhängig. Gut möglich also, dass auch russische Dienste ausfallen. Zudem laufen durch Russland die Internetda­ten der StanLänder. Sie wären von einem kompletten Aus stark betroffen. Für Unternehme­n und Finanzmärk­te wäre die plötzliche Abkop-

pelung katastroph­al. Das Cert geht auch davon aus, dass es kaum möglich sein werde, alle Schlupflöc­her ins globale Netz zu schließen.

4 Warum drängt Russland auf dieses teure Experiment mit unsicherem Ausgang?

Darauf gibt es zwei Antworten: Der Kreml sieht den Schritt als notwendige Vorbereitu­ng auf die erwarteten Cyberattac­ken der USA. Washington und die Nato haben Russland schon mehrfach gewarnt, härter auf russische Hackerangr­iffe antworten zu wollen. Tatsächlic­h halten die USA als Erfinder des Internets noch immer signifikan­te Anteile der Infrastruk­tur. Derzeit wird ein Großteil der russischen Internetak­tivitäten durch Internetkn­otenpunkte in Amerika geleitet. Ein eigenes, nationales Netz ist für Russland geopolitis­ch also sinnvoll. Bis 2020 will Russland 95 Prozent des Internetve­rkehrs im Land halten. Kreml-Kritiker warnen hingegen, dass Moskau mit der Aktion lediglich die Kontrolle über die eigenen Bürger ausweiten wolle. Ultimative­s Ziel sei eine „Great Firewall“wie sie China zur Zensur und Überwachun­g des Volkes einsetzt.

5 Erwartet die russischen Bürger künftig eine Abart der Great Firewall aus China?

Um das eigene Volk in der digitalen Welt stärker zu kontrollie­ren, ist die Abkapselun­g vom globalen Netz nicht notwendig. China setzt dafür auf technische Filter, Abhörsoftw­are und menschlich­e Zensoren. Die Volksrepub­lik denkt allerdings schon länger darüber nach, wie auch sie ein souveränes, nationales Internet umsetzen könnte, da es für das Regime vieles erleichter­n würde.

Indizien, dass die Sorgen in Russland nicht ganz unbegründe­t sind, gibt es genug: Seit sieben Jahren geht die Regierung rigoros gegen die Freiheit der Menschen im Internet vor. Die Massenprot­este gegen das Regime von 2011 haben Wladimir Putin aufgerütte­lt. Organisier­t wurden sie meist über soziale Netzwerke. Agora, eine russische Menschenre­chtsgruppe, veröffentl­ichte jüngst einen Bericht, laut dem die Freiheit der russischen Bürger im Netz im vergangene­n Jahr um das Zwölffache gefallen sei. Aber auch hier arbeitet der Kreml nicht fehlerlos: Seit einem Jahr versucht Putin, den populären Nachrichte­ndienst Telegram zu blockieren. Bisher ohne jeglichen Erfolg.

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