Der Eiserne Vorhang im Internet
Russland. Wladimir Putin übt für den digitalen Krieg. Dafür lässt er das Internet seines Landes vom globalen Netz abkoppeln, um mehr Kontrolle zu erlangen. Der Testlauf könnte gewaltige Folgen haben.
Das Internet kennt keine Ländergrenzen. Theoretisch zumindest. Ganz praktisch arbeiten viele Regierungen daran, ihr Stück vom Netz stärker unter Kontrolle zu bringen. Wladimir Putin wagt den bisher radikalsten Test in diese Richtung: Russland will sich komplett vom globalen Internet abtrennen, um sich besser vor Cyberangriffen der Amerikaner schützen zu können. Ob es gelingt, und was dabei alles kaputtgehen wird, weiß heute niemand. Vorerst ist es nur ein Testlauf, der zeigen soll, wie unabhängig das Runet, Russlands Internet, agieren kann. Das Experiment wirft viele Fragen auf. „Die Presse“hat nach Antworten gesucht.
1 DAs Internet ist doch globAl. KAnn sich eine NAtion überhAupt dAvon Abtrennen?
Um das zu verstehen, ist es hilfreich zu wissen, wie das Internet aufgebaut ist. Eine zentrale Autorität für die notwendige Infrastruktur gibt es nicht. Das Internet ist im Grunde ein Flickwerk an Glasfaserkabeln, über die Daten rund um die Welt geschickt werden können. Das Rückgrat bilden ein paar Hundert Unterseekabel und zahllose Glasfaserleitungen an Land. Drahtlose Techniken und Satelliten spielen beim Datentransport nur eine untergeordnete Rolle. Der Grad der Verflechtung zwischen den einzelnen Technologien und Nationen ist enorm. Dennoch demonstrieren Staaten immer wieder, dass sie das Internet auch „abdrehen“können. Kongo kapselte sich rund um die Präsidentenwahlen von der digitalen Welt ab. Ägypten schaltete das Netz 2011 ab. Hundert Prozent offline sind die Staaten aber nie.
2 RusslAnd will mehr. KAnn MoskAu ein eigenes Internet ohne den Rest der Welt bAuen?
Es ist das erklärte Ziel des Kreml, die Netzwerkinfrastruktur des Landes komplett vom Internet abzutrennen und ein eigenes Intranet zu schaffen. Das ist nach Einschätzung von Experten zwar höchst komplex, aber nicht unmöglich. Zugute kommt den Russen, dass sie kaum über private Unterseekabel an das Netz angebunden sind (siehe Grafik). Diese gehören meist privaten Unternehmen und können nicht einfach von Moskau gekappt werden. Kabel im eigenen Land sind hingegen leichter zu kontrollieren. Konkret müsste Moskau die Internetprovider zwingen, alle internationalen Verbindungen zu kappen. Datenpakete, die etwa für die USA bestimmt sind, fänden dann den Weg nicht mehr. Sie würden im Land an Server umgeleitet, die unter russischer Kontrolle stehen. Ein zweiter Ansatzpunkt sind die Datencenter, in denen große Internetseiten ihre Inhalte möglichst nahe am Kunden zwischenlagern, damit die Seiten schneller laden. Seit 2016 sind alle Unternehmen verpflichtet, die Daten ihrer russischen Kunden auf russischen Servern zu lagern. Kontrolliert der Kreml diese Datencenter, schafft er sich damit auch die perfekte Infrastruktur für staatliche Zensur.
3 WAs sind die Konsequenzen? Können Russen dAnn noch Auf westliche Seiten zugreifen?
Ganz genau kann das derzeit wohl nicht einmal Russland selbst beantworten. Immerhin drängten die russischen Internetprovider auf den Testlauf, da sie massive Probleme befürchten. „Es wird ein teurer und spannender Test“, sagt Aaron Kaplan von Österreichs Computer Emergency Response Team (Cert). „Wir gehen davon aus, dass nicht viel funktionieren wird.“Russland hat zwar mit Yandex (quasi Google) und Mail.ru (Inhaber der beliebtesten Facebook-Klone) eigene lokale Anbieter. Aber auch diese sind teilweise vom Zugriff auf internationale Software abhängig. Gut möglich also, dass auch russische Dienste ausfallen. Zudem laufen durch Russland die Internetdaten der StanLänder. Sie wären von einem kompletten Aus stark betroffen. Für Unternehmen und Finanzmärkte wäre die plötzliche Abkop-
pelung katastrophal. Das Cert geht auch davon aus, dass es kaum möglich sein werde, alle Schlupflöcher ins globale Netz zu schließen.
4 Warum drängt Russland auf dieses teure Experiment mit unsicherem Ausgang?
Darauf gibt es zwei Antworten: Der Kreml sieht den Schritt als notwendige Vorbereitung auf die erwarteten Cyberattacken der USA. Washington und die Nato haben Russland schon mehrfach gewarnt, härter auf russische Hackerangriffe antworten zu wollen. Tatsächlich halten die USA als Erfinder des Internets noch immer signifikante Anteile der Infrastruktur. Derzeit wird ein Großteil der russischen Internetaktivitäten durch Internetknotenpunkte in Amerika geleitet. Ein eigenes, nationales Netz ist für Russland geopolitisch also sinnvoll. Bis 2020 will Russland 95 Prozent des Internetverkehrs im Land halten. Kreml-Kritiker warnen hingegen, dass Moskau mit der Aktion lediglich die Kontrolle über die eigenen Bürger ausweiten wolle. Ultimatives Ziel sei eine „Great Firewall“wie sie China zur Zensur und Überwachung des Volkes einsetzt.
5 Erwartet die russischen Bürger künftig eine Abart der Great Firewall aus China?
Um das eigene Volk in der digitalen Welt stärker zu kontrollieren, ist die Abkapselung vom globalen Netz nicht notwendig. China setzt dafür auf technische Filter, Abhörsoftware und menschliche Zensoren. Die Volksrepublik denkt allerdings schon länger darüber nach, wie auch sie ein souveränes, nationales Internet umsetzen könnte, da es für das Regime vieles erleichtern würde.
Indizien, dass die Sorgen in Russland nicht ganz unbegründet sind, gibt es genug: Seit sieben Jahren geht die Regierung rigoros gegen die Freiheit der Menschen im Internet vor. Die Massenproteste gegen das Regime von 2011 haben Wladimir Putin aufgerüttelt. Organisiert wurden sie meist über soziale Netzwerke. Agora, eine russische Menschenrechtsgruppe, veröffentlichte jüngst einen Bericht, laut dem die Freiheit der russischen Bürger im Netz im vergangenen Jahr um das Zwölffache gefallen sei. Aber auch hier arbeitet der Kreml nicht fehlerlos: Seit einem Jahr versucht Putin, den populären Nachrichtendienst Telegram zu blockieren. Bisher ohne jeglichen Erfolg.