Der große Fanmarsch vor Gericht
„Rapidkessel“. Nachdem knapp 1400 Menschen, Teilnehmer eines Rapid-Fanmarsches, von der Polizei bis zu sieben Stunden eingekesselt worden sind, ziehen Teile der Fanszene vor Gericht.
„Arbeit, Kampf, auch enge Spiele gewinnen, Einsatz, Emotion, das will ich sehen.“Das sagt Rapid-Trainer Dietmar Kühbauer im „Presse“-Interview – und meint natürlich seine Spieler. Doch neuerdings hat dies auch für so manchen Rapid-Fan Gültigkeit.
Nachdem die Polizei am 16. Dezember in Wien Favoriten knapp 1400 Rapid-Anhänger bis zu sieben Stunden auf offener Straße eingekesselt hat, ziehen etliche Betroffene vor Gericht. „Presse“-Recherchen zeigen nun, welche Argumente vorgebracht werden.
Kampfeslust, Einsatz und Emotion bringt etwa auch eine selbstständige Unternehmerin mit. Sie zählte vor dem Derby (Austria vs. Rapid) zu den eingekesselten Personen – auf einem Weg neben der Südosttangente bei Kälte und Schneematsch. Ihre umfassende Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien liegt der „Presse“vor.
Die Frau: „Während dieser mehrstündigen Anhaltung und Einkesselung durch die Organe der belangten Behörde (Landespolizeidirektion Wien, Anm.) erhielt ich weder eine Versorgung mit Essen und/oder Getränken noch bekam ich die Möglichkeit, eine Toilette zu benützen. All dies wurde von den anwesenden Polizeibeamten ausdrücklich verweigert.“
Bei dem Fanmarsch waren von einigen Personen Schneebälle und laut späterer Aussage von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) auch „pyrotechnische Gegenstände“auf die Autobahn (A23) geworfen worden. Diese wurde daraufhin fünf Minuten gesperrt.
Der Fanmarsch wurde eingekesselt. 1375 Identitätsfeststellungen folgten. Danach wurden alle Betroffenen nach und nach weggewiesen. Polizeipräsident Gerhard Pürstl sagte nach dem Einsatz, an dem 637 Polizisten beteiligt waren: „Die Wiener Polizei ist Gewalt entschieden entgegengetreten.“
1 Wie wird die Beschwerde gegen die Anhaltung untermauert?
Die Anhaltung sei unverhältnismäßig gewesen. Die Polizei habe gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen – gegen das Recht auf persönliche Freiheit. Und gegen das Verbot erniedrigender Behandlung. Die Begründung der Polizei, man habe sich von den Eingekesselten Auskünfte über die Schneeballwerfer erwartet, rechtfertige die stundenlange Anhaltung zwecks Identitätsfeststellung nicht. Und: Dass jede(r) Einzelne auch noch fotografiert wurde, verstoße gegen das Sicherheitspolizeigesetz.
Die Beschwerdeführerin: „Die Rapid-Anhänger standen durchgehend unter der genauen Beobachtung von rund 600 Polizeibeamten und zahlreichen Videokameras.“So gesehen sei von der Befragung einer einzelnen eingekesselten Person kein Nutzen zu erwarten gewesen.
Ging es wirklich nur um Auskünfte? Das sei zweifelhaft. Vielmehr seien „pauschal und wahllos“alle knapp 1400 Menschen „unter Generalverdacht gestellt“worden. Eine Identitätsfeststellung wegen der Gefahr eines gefährlichen Angriffs sei aber nur erlaubt, wenn ein konkreter Verdacht vorliege. Die bloße Anwesenheit in einer Fangruppe reiche nicht aus.
2 Und wie wird die Beschwerde gegen die Wegweisung begründet?
Hier konzediert die Beschwerde: Aus einem vorher definierten Sicherheitsbereich dürfe die Polizei Menschen sehr wohl wegweisen. Anmerkung: Auch für Donnerstagabend hat die Polizei anlässlich des Euro-League-Spiels SK Rapid Wien gegen Inter Mailand (siehe Seite 12) einen solchen Bereich rund um das Weststadion kundgemacht. Aber, so die Beschwerde: Es brauche bestimmte Tatsachen (Beispiel: Sichtung eines amtsbekannten Hooligans), um jemanden wegweisen zu können. In einem Kommentar zum Sicherheitspolizeigesetz heißt es: „Maßgeblich sind nur Tatsachen, aus denen sich ein rationaler und direkter Schluss auf das Bevorstehen eines tatbildlichen Angriffs ziehen lässt.“Das Wegweisen sämtlicher Eingekesselter zeige aber, dass die Polizei allen Fanmarschteilnehmern mögliche Straftaten unterstellt habe.
3 Wenn die Beschwerde „durchgeht“– was heißt das für die Polizei?
Falls das Verwaltungsgericht Wien den Beschwerden stattgibt (deren Zahl ist vorerst unklar, es dürften Dutzende sein), wird die Amtshandlung der Polizei offiziell als rechtswidrig erklärt. Der Anwalt der Beschwerdeführerin, Christian Podoschek (Kanzlei Preslmayr), meint zur „Presse“: „Aufgrund der aufgezeigten Unverhältnismäßigkeit sind wir optimistisch, dass wir uns am Landesverwaltungsgericht durchsetzen können.“Sollte es in der Folge zu Schadenersatzforderungen gegen die Polizei kommen (Amtshaftungsklage), so wären vorangegangene Urteile, die im Sinne der Beschwerdeführer lauten, gewiss von Vorteil.