Künstler als Knechte der Konzerne
Kunst. Ai Weiwei verklagt einen VW-Importeur und kritisiert den Autobauer wegen seiner China-Strategie scharf. Viele Kollegen haben sich längst in profitable Geschäfte mit Großunternehmen verstrickt. Wie das kam und wohin es führt.
Ai-Weiwei verklagt einen VW-Importeur, weil dieser ein Auto vor einem seiner Kunstwerke inszeniert hat.
Den ganzen Tag hatten die Fotografen Kopenhagen auf der Suche nach „schönen Locations“durchstreift. Gegen Abend kamen sie „ganz zufällig“an der Kunsthal Charlottenborg vorbei, dem bekanntesten Museum der Stadt. Auf seine Fassade war damals, im Herbst 2017, eine Installation von Ai Weiwei montiert: 3500 Rettungswesten von Bootsflüchtlingen, für den chinesischen Konzeptkünstler „das schmerzlichste Symbol ihres Leidens und ihrer Hoffnung“. Das Orange der Westen passte aber auch sehr hübsch zum VW Polo, den es zu bewerben galt. Der Folder wurde hunderttausendfach verteilt. Der Meister protestierte, ihn hatte niemand gefragt. Ein Geldangebot des Generalimporteurs schlug er aus. Es ging nicht ums Copyright, er forderte eine Entschuldigung – vergeblich. Am Mittwoch hat Ai Weiwei die Firma verklagt.
Integrität steht auf dem Spiel
Flankierend rechnet er in einem „Guardian“-Gastbeitrag und auf seinen Profilen in sozialen Netzwerken mit Volkswagen ab: Der Autobauer biedere sich dem autoritären Regime in Peking an. China ist für die Wolfsburger der wichtigste Markt. Dort entscheide sich die Zukunft des Unternehmens, hat VW-Chef Herbert Diess jüngst erklärt. Dass ebendort bis zu eine Million Angehörige von Minderheiten in Lagern interniert würden, davon wisse er nichts. Ai Weiwei zitiert Berichte, wonach VW den deutschen Außenminister bedrängte, darüber zu schweigen.
Wenn eine solche Firma suggeriere, der große Kämpfer für Menschenrechte lasse sich vor ihren Werbekarren spannen, sei seine künstlerische Glaubwürdigkeit und Reputation in Gefahr: „Warum sollten sich Flüchtlinge mir noch anvertrauen, wenn sie glauben müssen, dass ich ihre Notlage für Zwecke des Profits ausbeute?“
Freilich ist Ai Weiwei selbst eine kommerziell starke Marke, sein Gesicht ein Logo: der Dissident im Hausarrest, der rastlose Kritiker im Berliner Exil, der zu Hause Totgeschwiegene und vom Westen in den Olymp Gehievte. In seiner Ästhetik steht er für das äußerlich Große, in seiner Botschaft für das Grobe. Aber immer ist er als Person, wie einst Beuys, Teil seiner eigenen Kunst. Er verkörpert ihren Sinn, der auf dem Spiel steht, wenn er seine Integrität nicht wahrt und als Herold der Freiheit unfrei wird.
Diese Sensibilität ist vielen Kollegen verloren gegangen. Sein Nachbar in der alten Brauerei am Prenzlauer Berg ist O´lafur El´ıasson, der Lichtkunstprojekte für Zumtobel gestaltet und in Venedig den Palazzo des Milliardärs Francois¸ Pinault verziert, was dessen Luxusgüterkonzern noch mehr Glanz verleiht. Als besonders frivoler Dekorateur der Macht verdingt sich Jeff Koons, der (nicht als Erster) für Louis Vuitton Handtaschen designt und seinem besten Kunden, einem zypriotischen Industriellen, die Jacht bepinselt. Der Schweizer Medienkonzern Ringier lässt sich seine Jahresberichte von Großkalibern wie John Baldessari schönfärben. Jenny Holzer schrieb sinnige Sprüche auf einen Rennwagen von BMW. Wollte man eine Ausstellung zum Thema machen, könnte der Katalog dazu beliebig dick ausfallen.
Auch wer nicht vereinnahmt werden will, kann sich der Umarmung kaum entziehen. Reiche Sammler suchen den direkten Kontakt zu Kunstschaffenden. Großunternehmen buhlen um Kooperationen, sponsern Ausstellungen, Biennalen, Festivals. Die Gefahr ist klar: So lang brauchten die Künstler, um sich von der Auftragsarbeit für Adel, Klerus und andere mächtige Mäzene zu emanzipieren. Nun legen sie sich selbst wieder in Ketten, verstricken sich in die Verhältnisse und verlieren die Kraft, auf schöpferische Weise kritische Fragen zu stellen.
Vom Aldi-Sackerl zum Tech-Hype
Wie aber ist es dazu gekommen, nach einem wilden Jahrhundert der Subversion, des Widerständigen und der avantgardistischen Gegenwelten? „Ich habe gesündigt“, gestand Günter Fruhtrunk 1970 vor seinen Studenten in der Münchner Akademie und zahlte ein symbolisches Bußgeld von 400 Mark in die Kaffeekasse. Der abstrakte Konstruktivist hatte soeben das Sackerl für Aldi Nord gestaltet, ein bis zum Plastikbann im Vorjahr wohlvertrautes blaues Streifenmuster auf weißem Grund. Um die Zeit des Sündenfalls herum entwarf Salvador Dal´ı das Lutscherlogo für Chupa Chups und der Op-Art-Meister Victor Vasarely die Renault-Raute. Den Schrägstrich im Quadrat für die Deutsche Bank zog Anton Stankowski – und verkündete dazu die Lehre: „Ob Kunst oder Design ist egal. Nur gut muss es sein“. Es war die Ära der ausbrechenden Postmoderne, die versprach, Kunst und Leben konsequent zu verschmelzen. Das Motto „Anything goes“erfasste rasch auch die heikle Beziehung der Künstler zu großen Unternehmen.
Keine Symbiose
Eine lange Phase von Frieden und Prosperität füllt bis heute die Firmenkassen. Kunst ist eine gute Anlage, und sie verschafft ein verfeinertes, weltoffenes Image. Sammlungen und Stiftungen wachsen an. Am Arbeitsplatz sollen Kunstwerke produktive Irritationen auslösen, das Denken in neue Richtungen lenken. Das kann über den Erfolg entscheiden, zumal in der Tech-Branche, die von innovatorischen Durchbrüchen lebt. AppleGründer Steve Jobs umgab sich mit Musikern, Dichtern und Malern. Facebook und Adobe betreiben große „Artist in Residence“-Programme. Biedere Mittelständler in Europa eifern diesen Vorbildern nach, wenn sie Künstler zu Workshops einladen.
All das sind Symptome eines erfreulichen gesellschaftlichen Wandels: Ein viel größerer Teil der Lohnabhängigen hat heute Spielräume, sich in einer nicht mehr entfremdenden Arbeit schöpferisch zu entfalten. Das lädt zur Vereinnahmung der wahrhaft Kreativen ein. Aber die scheinbare Symbiose ist parasitär: Je stärker die Quelle angezapft wird, desto rascher versiegt sie.
Braucht es etwa doch die Aura, den Rahmen, Museum und Atelier, geschützte Räume für Künstler und ihre Werke? Wir wissen aus der Kunstgeschichte: Alles kehrt wieder.