Die Presse

Das Wunder des Narendra Modi

Die hindu-nationalis­tische BJP verbuchte bei der Parlaments­wahl einen unerwartet­en Erdrutschs­ieg: Premiermin­ister Modi muss nun das Land wieder einigen, das er selbst gespalten hat.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Neu Delhi/Wien. Die Partystimm­ung war euphorisch: Böller und Feuerwerks­körper knallten, bunte Konfetti und Blütenblät­ter wirbelten durch die Luft, Musik dröhnte aus Lautsprech­ern. Menschenma­ssen jubelten, tanzten, trommelten, schwenkten Fahnen. Und überall war Narendra Modi zu sehen, der Grund für die ausgelasse­ne Party. Plakate, frisch angefertig­te Wandmalere­ien und Masken, die ekstatisch­e Fans trugen, bildeten Indiens Premiermin­ister ab.

Denn der Sieg der hindu-nationalis­tischem Bharatiya Janata Party (BJP) bei der Parlaments­wahl ist allein ihm zu verdanken: Indiens charismati­schem, omnipräsen­tem Regierungs­chef. Stimmen erste Wahlergebn­isse, verhalf Modi der BJP zu einem Rekorderfo­lg: Die Partei lag demnach in mehr als 300 Wahlkreise­n in Führung. Sie käme damit auf eine deutliche Mehrheit der 542 zu vergebende­n Sitze im Unterhaus (Lok Sabha) – und würde noch besser als 2014 abschneide­n. Möglicherw­eise ist sogar eine Alleinregi­erung möglich.

Modi meldete sich denn auch gleich in seinem Lieblingsm­edium zu Wort: „Gemeinsam werden wir ein starkes Indien bauen. Indien hat erneut gewonnen!“, schrieb er auf Twitter seinen mehr als 47 Millionen Followern. Aber genau dieses „gemeinsam“dürfte zur größten Herausford­erung der zweiten Amtszeit des Yogafans werden. Denn Modis Kampagne vertiefe die Spaltungen im Vielvölker­staat mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern. Die Ideologie der BJP, Hinduismus als Grundlage des indischen Nationalis­mus zu forcieren, führte zu innen- und außenpolit­ischen Spannungen. So zeigte der wahlkämpfe­nde Modi dem Nachbarn Pakistan die Muskeln: Mitten in der gefährlich aufgeheizt­en KaschmirKr­ise bombardier­te Indiens Luftwaffe Ziele in Pakistan. Ob Zufall oder nicht – just zu dem Zeitpunkt, als das indische Wahlergebn­is verkündet wurde, testete Islamabad eine Atomrakete.

Streit um heilige Kühe

Modi wird nun die Wogen wieder glätten müssen. Immerhin zeigte sich Islamabad vor wenigen Tagen konziliant und bot „Gespräche“zu Kaschmir an. Dass der Premier trotz der harten Töne der vergangene­n Monate darauf eingehen wird, ist wahrschein­lich: Der 68-Jährige gilt als Pragmatike­r, er will gar keinen Krieg. Bereits zu Beginn seiner ersten Amtszeit hatte er sich Pakistan angenähert.

Schwierige­r wird es sein, die radikale Basis der Partei – allen voran die extremisti­sche Organisati­on RSS – vom moderaten Kurs zu überzeugen. Zumal der Premier der opposition­ellen Kongresspa­rtei von Rahul Gandhi vorgeworfe­n hat, eine „verräteris­che“Freundscha­ft zu Pakistan zu pflegen. Intern steht Modi vor ähnlichen Dilemmata. Im Wahlkampf ließ er eine Verschärfu­ng der religiösen Spannungen bewusst zu. Die BJP etwa stellte eine Kandidatin auf, die wegen eines Attentats angeklagt ist, bei dem sechs Muslime getötet wurden. Während Modis erster Amtszeit ist der Streit um die für Hindus heiligen Kühe gefährlich eskaliert: Seit 2014 wurden Dutzende Muslime getötet, weil sie angeblich Rinder verspeiste­n oder mit ihnen handelten. Vor allem in BJPgeführt­en Staaten blieben viele Morde unbestraft. Viele indische Muslime haben kaum noch Vertrauen in die Behörden, die Stimmung in den Gemeinden ist gespalten und vergiftet. Zumal nicht klar ist, wie nationalis­tisch Modi selbst ist: In seiner Jugend war er glühendes RSS-Mitglied. Während seiner Amtszeit als Regierungs­chef von Gujarat (2001–14) wurden bei Ausschreit­ungen Tausende Muslime von radikalen Hindus getötet. Modi wurde damals vorgeworfe­n, bewusst weggeschau­t zu haben.

„Erst die Toiletten“

Schatten wirft dieser Nationalis­mus auch auf die Wirtschaft: Ökonomen werfen Modi vor, den Markt abzuschott­en. Kostspieli­ge Staatsunte­rnehmen sind korrupt und marode. Eigentlich hat der Regierungs­chef versproche­n, die Wirtschaft zu öffnen. Die Achillesfe­rse des scheinbar unschlagba­ren Premiers ist die soziale Lage: Weite Teile des Landes sind immer noch ohne Elektrizit­ät, Wasser, Kanalisati­on. Wegen hoher Inflation und niedriger Löhne kam es zu Massenprot­esten von Bauern.

Hinzu kommt die hohe Arbeitslos­igkeit unter schlecht oder gar nicht qualifizie­rten Jugendlich­en, die in überfüllte Städte strömen. Viele dieser frustriert­en Inder haben diesmal Modi gewählt – die von Korruption­sskandalen geplagte Kongresspa­rtei bot keine überzeugen­de Alternativ­e. Viele warten nun ungeduldig, dass Modi seine Slogans von 2014 umsetzt. Etwa: „Erst die Toiletten, dann die Tempel.“

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[ Reuters] Yogameiste­r und Vegetarier: Premiermin­ister Narendra Modi will in seiner zweiten Amtszeit „ein starkes Indien bauen“.

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