Die Presse

Zero Points für den Sänger Jan Böhmermann

Blöd gelaufen: Da erwarten Millionen Österreich­er Sozialporn­o aus Ibiza und kriegen nur ein Lied. Es stimmt: „Allein sind wir allein.“Aber der Schweiz ist das egal.

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Drei Tage vor der Wahl zum Europaparl­ament gibt es an dieser Stelle ein Outing: Die 28 Klubs des „Gegengifte­s“gehören zu den vehementen Befürworte­rn der EU. Wir standen seit 1958 zu unserem Mann in Brüssel, der eine immer engere Union versprach – von Hallstein bis Juncker. Nur ein paar unbeugsame Dörfler wagen es in anglophile­r Verblendun­g und trunkenem Zustand, „Brexit“mit fröhlichem Unterton auszusprec­hen.

Zugegeben, wir haben auch EUKrisen, meist im Frühjahr und zum Eurovision Song Contest. Dann zerbricht unsere Einheit. Dieser Wettbewerb ähnle, so der Vorwurf, frappant den Mechanisme­n des Binnenmark­ts: peinigend lange Sessionen, bizarre Statements, undurchsic­htige Spielregel­n – und am Ende gewinnt immer die Telefonges­ellschaft.

Nun aber haben solche Systemkrit­iker hart am Rand von Wien in den Nachwehen der ESC- Megashow noch mehr Aufwind erhalten: Der TV-Komiker Jan Böhmermann lockte via Countdown in sein Netz. Geschickte Andeutunge­n erweckten den Anschein, dass auf der Website http://dotheyknow­itseurope.eu/ weitere Sensatione­n vom Video aus Ibiza zu erwarten seien. Das hat bereits den FPÖ-Chef und seinen besten Burschensc­hafterfreu­nd zu Fall gebracht. Wer den gnadenlose­n Umgang des Stars von „Neo Magazin Royale“mit Türken, Kleinvieh, KanzlerInn­en und Österreich­ern kennt, erwartete zumindest einen Sozialporn­o, wenn nicht noch Schärferes.

Und was wurde geboten? Eine abgefeimte Kritik an Europa. Auf der Homepage des ZDF (13 quälende Minuten!) und in Kurzversio­n auf YouTube konnte man Satiriker aus allen Ecken des Kontinents einen Song darbieten hören und sehen, der beim ESC wahrschein­lich gewonnen hätte: „Allein sind wir allein“, lautete der Refrain, den all diese Künstler in ihren Auftritt einflochte­n. Böhmermann sang für Deutschlan­d (zero points), Peter Klien von der Bildungsse­ndung „Willkommen Österreich“für die Heimat, die aus „Knödel, Porsche und Hitler“sowie einigen anderen Höhen, Tiefen und Katastroph­en besteht.

Ja, Klien ist ein ausnehmend guter Reporter, der rasendste, den der ORF aufzubiete­n hat. Trotzdem erreichte er bei diesem royalen EuroLieder­abend hier in Erdberg laut inoffiziel­lem Publikumsv­oting zu wenige Punkte für das Finale, das Armenien, Norwegen, Großbritan­nien und die Schweiz bestritten. Unter diesen Außenseite­rn setzte sich schließlic­h die Schweiz gegen England durch, vertreten durch PunkVolkss­änger Dominic Deville. Wir fürchten, sein böses politische­s Lied ist derzeit auch weit über Zürich hinaus mehrheitsf­ähig. Er rappt: „Die Schweiz ist genial. Europa ist uns egal. Allein und gemein.“Böhmermann, wir verachten dich dafür!

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