Diesmal war Brahms das Ereignis
Sir Andr´as Schiff spannte im Konzerthaus den Bogen von Bach über Beethoven bis zum späten Brahms.
Debussy muss noch warten, sagte Andras´ Schiff einmal. Das wird wohl noch länger so sein. Denn in den vergangenen Jahren hat er Brahms für sich entdeckt und wird sich – wie man bei seinem enzyklopädischen Interesse annehmen darf – erst dann einem anderen Komponisten intensiv zuwenden, wenn er Brahms’ ganzes Klavierwerk für sich erarbeitet hat. Im Großen Konzerthaussaal setzte er auf die drei letzten Klavierzyklen: die Opera 117 bis 119. Darin zieht Brahms die Summe seiner Klaviererfahrung – in Form unterschiedlich konzipierter, teilweise von schottischen wie eigenen Liedern inspirierten Intermezzi, einer kämpferischen Ballade, einer Rhapsodie, einer Romanze, die die Aura eines Wiegenlieds hat.
Dafür braucht man Klangkultur, Gespür für Übergänge, umfassendes Wissen um Struktur und Form, nicht zuletzt glänzende Technik. Schiff verfügt über all dies in reichem Maße. Selbst in den vertracktesten Passagen behält er Übersicht und Ruhe. Er kann komplizierte melodische Linien plastisch herausarbeiten, mit kleinen Temponuancen Stimmungen vorbereiten. Seine Tempodramaturgie ist bis ins Detail überlegt, seine Anschlagspalette nicht nur in den Pianobereichen weit.
Wie aber lassen sich diese drei Zyklen am besten in ein abendfüllendes Programm einbetten? Auch dafür hatte Schiff, auf einem Bösendorfer musizierend, eine überzeugende Antwort parat: Er verknüpfte sie mit Werken, in denen gleichfalls Intimität und Wehmut dominiert, zudem das Thema Abschied mitschwingt. Wie Schumanns späte „Geister-Variationen“, Mozarts stark chromatisch durchzogenes a-Moll-Rondo KV 511 und Beethovens Klaviersonate „Les Adieux“. Auch hier zeigte Schiff exemplarische Klarheit und stupende Genauigkeit, geizte – besonders im Schlusssatz der BeethovenSonate – nicht mit Brillanz.
Doch am meisten in die Tiefe ging er bei Brahms. Selbst das letzte Präludium und Fuge aus dem ersten Band von Bachs „Wohltemperiertem Klavier“, so exzellent er es darbot, strahlte nicht solch irisierenden Glanz, solche Faszination aus wie seine Brahms-Interpretation. Sie war das Ereignis des Abends.