Bis einer zur Kettensäge greift . . .
Im Kino. Ein Streit unter Nachbarn um einen Baum setzt in der isländischen Komödie „Under the Tree“eine aberwitzige Eskalationsspirale in Gang. Trotz Klischees ein schöner, böser Spaß.
Sie bilden im Bereich satirischer Demontagen des Bürgertums beinahe schon ein eigenes Subgenre: Komödien über Konflikte zwischen Nachbarn in vermeintlich idyllischen Vorstädten, die sich an Lappalien entzünden und eine aberwitzige Eskalationsspirale in Gang setzen. In „Under the Tree“fungiert der Schatten eines Baums als Auslöser für einen zunächst noch auf verbale Entgleisungen beschränkten Streit. Eybjörg, die zehn Jahre jüngere Frau von Konrad,´ stört sich daran, dass ihr das Gewächs von gegenüber beim täglichen Sonnenbad das Licht nimmt. Inga reagiert auf die Forderung der eitlen Hobbysportlerin, der hölzerne Riese müsse gefällt werden, unverhältnismäßig aggressiv, beschimpft sie als „Fahrradschlampe“und drängt ihren schwermütigen Ehemann, Baldvin, in die leidige Position ihres Verteidigers. Als dem daraufhin einsetzenden Psychoterror ein unschuldiges Haustier zum Opfer fällt, scheint der Griff zur Kettensäge unvermeidbar . . .
Der isländische Regisseur Hafsteinn Gunnar Sigurðsson arbeitet in seiner Beschreibung des ganz normalen Wahnsinns, der in braven Reihenhausbewohnern auf Entladung wartet, mit Geschlechterklischees: Herzlose Frauen schicken ihre zu Pantoffelhelden degradierten Männer in den Krieg. Allerdings belässt er es nicht bei dieser Schablone. Die Ursachen reichen tiefer. Auf der einen Seite wird unter einer länger zurückliegenden Familientragödie gelitten, für deren Verarbeitung offenbar die Fähigkeit zum Eingeständnis von Gefühlen wie Trauer und Reue fehlt. Wer Verletzlichkeit zeigt, ist für Inga ein Waschlappen. Auf der anderen Seite vollziehen Konrad´ und Eybjörg ein steril anmutendes Befruchtungsprogramm, das auf enttäuschte Erwartungen
und sich widersprechende Sehnsüchte schließen lässt. Er hat sich wohl eine leidenschaftliche Bettgefährtin und keine Domina mit Mutterwunsch erhofft – und sie sich einen resoluteren Sugardaddy. Hinter der harmonischen Wohlstandsfassade wirken alle wie unglückliche Mängelwesen.
Und dann gibt es noch Atli, den Sohn von Inga und Baldvin, der seit seinem Rauswurf von daheim im Garten seines Elternhauses pennt. Nach dem Zerwürfnis mit seiner Ehefrau, Agnes, die ihn beim Onanieren am PCBildschirm erwischt hat, auf dem er beim Liebesverkehr mit einer gemeinsamen Bekannten zu sehen war (ein altes Urlaubsvideo, das er besser hätte löschen sollen), stolpert er in jede nur erdenkliche Falle, um als gewalttätiger Ehemann und bedrohlicher Kidnapper der gemeinsamen Tochter dazustehen. Das schräge, aber dezent inszenierte Sittengemälde bildet also zwei Generationen ab, die beide gern vorschnelle Schlüsse aus unvollständigen Informationen ziehen – und die beide kein Interesse an offenen Dialogen erkennen lassen.
Die Produktion ist immer dann am besten, wenn sie den Entstehungszusammenhängen von Missverständnissen nachspürt, besonders, wenn diese von Medien verursacht oder intensiviert werden. Die von Baldvin über der Garage angebrachte Überwachungskamera verstärkt die von Verdächtigungen angespannte Atmosphäre nur – und Agnes’ Schock angesichts des Sex-Tapes wirkt beinahe so, als würde sie ihren Gatten leibhaftig und gegenwärtig mit einer anderen Frau vorfinden. Immer wieder geht es um die Diskrepanz zwischen Selbstbildern und Fremdbildern, Idealbildern und Medialbildern. Nur ist den Figuren nie bewusst, wie sehr sie davon im Bann gehalten werden. Die komischen Momente, die sich dabei ergeben, machen „Under the Tree“trotz seiner Klischees zu einem bösen Spaß.