Was H.-C. Strache in jener Nacht auf Ibiza wirklich verbrochen hat
Dass sich die FPÖ selbst in die Luft gesprengt hat, ist deren Problem. Die Konsequenzen werden für das Land leider trotzdem problematisch sein.
Klar, man kann, ausgerüstet mit der Weisheit des Nachhineins, Sebastian Kurz vorwerfen, er hätte wissen müssen, mit welchen Schmuddelkindern er sich einließ, als er eine Regierung mit der FPÖ bildete. Besonders unter manchen Medienmenschen ist diese Pose des „Wir haben es ja schon immer gewusst“derzeit en vogue.
Doch ganz abgesehen davon, dass recht gehabt zu haben bekanntlich bloß der Trostpreis des Lebens ist, kann man die Sache auch etwas anders sehen. Denn Sebastian Kurz hat 2017 wohl die nahezu hundertprozentige Gewissheit, ein weiteres Jahrfünft bleiernen Stillstands zu verantworten, wenn er mit der SPÖ regiert (die das ohnehin nicht wollte), gegen das Risiko abgewogen, mit der notorisch multiproblematischen FPÖ zu koalieren und zu hoffen, dass es diesmal gut geht. Das war ein Risiko.
Dass nun das Risiko schlagend wurde, beweist nicht zwingend, dass es aus damaliger Sicht nicht richtig war, es einzugehen, anstatt wieder die Bleidecke der Großen Koalition über das Land zu schieben. Himalaja-Expeditionen scheitern regelmäßig, trotzdem ist das für Bergsteiger kein Grund, sie nicht zu wagen. Endgültig zu beurteilen wird die Kurz-Strategie wohl erst im Herbst dieses Jahres sein: In aktuellen Umfragen liegen etwa ÖVP und Neos zusammen nur noch knapp unter 50 Prozent.
Allerdings, und das ist das wirklich Unerfreuliche am Scheitern des Kabinetts Kurz I: In dem Ausmaß, in dem sich die FPÖ endgültig als nicht fit zum Regieren erweist, steigt natürlich vor allem die Gefahr, dass am Ende im September wieder Schwarz und Rot miteinander müssen. Nicht, weil sie so dringend wollen, sondern weil sich nichts anderes wirklich ausgeht. Eine Vorstellung, die ungefähr so erfreulich ist wie eine infektiöse Angina mitten im Mai.
Dass sich die FPÖ, um wieder – oder besser: erstmals – regierungsfähig zu werden, ernsthaft an Haupt und Gliedern erneuert, ist leider überhaupt nicht zu erwarten. Ganz im Gegenteil: Eine angeschlagene FPÖ, die keinerlei Rücksichten
mehr nehmen muss auf die Verbindlichkeiten des Regierens, wird vermutlich eher noch schriller werden und allfällig noch vorhandene Resthemmungen entsorgen. Jetzt erst recht, sozusagen. Aus Sicht der Partei kann das durchaus vernünftiges Verhalten sein, um wenigstens die Kernwähler bei der Stange zu halten.
Aus der Sicht der Republik ist das freilich eine Katastrophe: weil damit die widernatürlichste aller Regierungsformen, die Große Koalition, wieder zum scheinbar natürlichsten politischen Aggregatzustand wird. Dem Land dürfte das mehr schaden als jeder politische Skandal. Denn damit wird auch deutlich unwahrscheinlicher, dass die Republik zumindest ein, zwei Legislaturperioden lang wieder ein Stück mehr nach bürgerlichen und wirtschaftsliberalen Prinzipien organisiert wird, etwa indem die Staatsverschuldung eingebremst, die Abgabenquote nachhaltig gesenkt und die Wirtschaft etwas von den zahllosen finanziellen und regulatorischen Bürden entlastet wird. Schon die diesbezügliche Performance der bisherigen Koalition konnte bestenfalls als lau beschrieben werden; mit deren Ende droht nun selbst dieser bescheidene Fortschritt wieder Geschichte zu werden.
Das ist wohl der größte reale Schaden, den die dank Ibiza-Gate publik gewordene Charakterschwäche der blauen Führungsriege angerichtet hat: dass ihretwegen das dringend notwendige Projekt einer wirtschaftspolitischen Wende in diesem Lande schwer beschädigt worden ist.
In Zeiten, in denen wieder allen Ernstes über die Verstaatlichung von Unternehmen diskutiert wird und sozialistisches Gedankengut ganz allgemein wie ein ideologischer Untoter aus der Versenkung auftaucht, wäre eine derartige Wende zur wirtschaftspolitischen Vernunft dringender denn je gefordert.
Dass Strache das zerstört hat, wird als Teil seiner Schuld in die Geschichtsbücher eingehen.