Die Presse

Rufe nach Rücktritt von Theresa May

Großbritan­nien. Der Rücktritt der Premiermin­isterin ist mehr eine Frage von Stunden als von Tagen. Aber schon jetzt geht gar nichts mehr in der Regierung in London.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Die britische Premiermin­isterin, Theresa May, sieht sich angesichts wachsenden Widerstand­s gegen ihre Brexit-Strategie mit immer lauteren Rufen nach ihrem Rücktritt konfrontie­rt. In ihrer konservati­ven Partei kamen am Donnerstag Forderunge­n auf, sie müsse am Freitag ein Datum für ihren Rückzug nennen. Wie die „Times“schreibt, werde auch bereits damit gerechnet. Der Druck auf May ist gestiegen, nachdem ihr jüngster Vorstoß zur Lösung der Brexit-Blockade im Parlament sowohl bei der Opposition als auch bei vielen Konservati­ven durchgefal­len war. Zudem erklärte am Mittwoch die Fraktionsc­hefin der Tory-Abgeordnet­en und Ministerin für Parlaments­angelegenh­eiten, Andrea Leadsom, aus Protest gegen Mays Brexit-Kurs ihren Rücktritt aus der Regierung. Die BBC berichtete, andere Minister könnten bald folgen.

Würde Theresa May heute die Themse zu Fuß überqueren, würden ihre Parteikoll­egen gemeinsam mit der rechten Boulevard-Presse unisono verkünden: „May kann nicht schwimmen.“So sehr hat die britische Premiermin­isterin jede Autorität und Unterstütz­ung verloren, dass die Frage nach ihrem Rücktritt die gesamte Politik des Landes lähmt. Im täglichen Medienbrie­fing antwortete ihr Sprecher gestern, Donnerstag, auf die Frage nach dem Zeitpunkt ihres Abtritts nur mehr gereizt mit den Worten: „Nächste Frage.“

Dabei zeigte sich gestern erneut, dass keine Frage mehr gelöst werden kann, ehe nicht die Führungsfr­age gelöst ist. In einer weiteren Demütigung musste May angesichts überwältig­enden Widerstand­s auf die Vorlage ihres EUAustritt­sgesetzes im Unterhaus verzichten. „Wir werden das Parlament nach Ende der Sitzungspa­use am 4. Juni über die nächsten Schritte informiere­n“, erklärte die Regierung. Damit scheint es fast ausgeschlo­ssen, dass es noch einmal zu einer Abstimmung über Mays Brexit-Deal kommen wird.

Als ebenso unwahrsche­inlich galt es am Donnerstag, dass dann May noch im Amt sein würde. Bereits heute, Freitag, muss sie erneut mit Graham Brady, dem Sprecher der konservati­ven Hinterbänk­ler, über ihren Abgang beraten. Eine Ankündigun­g ist heute ebenso möglich wie auch nach dem erwarteten Debakel der Konservati­ven in der Europawahl, deren Ergebnis Sonntagabe­nd bekannt wird.

Doch bis zur letzten Sekunde blieben Mays Durchhalte­willen und Starrsinni­gkeit nicht zu unterschät­zen. Außenminis­ter Jeremy Hunt erklärte: Beim Besuch von US-Präsident Donald Trump von dritten bis fünften Juni in Großbritan­nien „wird Theresa May weiterhin Premiermin­isterin sein, und das ist auch richtig so“. Hunt ist einer der führenden Nachfolgek­andidaten. Während er aber längst mit rührenden Homestorys mit Frau und Küche in Sonntagsze­itungen für sich wirbt, setzt er nach außen auf eiserne Loyalität zu der scheidende­n Premiermin­isterin.

Das war noch nie eine Stärke von Boris Johnson, dem Vorgänger von Hunt als Außenminis­ter, der in dieser Woche mit einem VierPunkte-Programm genau die Kernanlieg­en der konservati­ven Basis ansprach. Hauptforde­rung: Hard Brexit now! Auf der anderen Seite des Spektrums formierten sich bereits gemäßigte Konservati­ve um Innenminis­terin Amber Rudd als „One Nation Tories“, die unter allen Umständen einen harten Brexit vermeiden wollen.

Ausgerechn­et zwischen diesen beiden unvereinba­r scheinende­n Positionen kündigt sich eine Allianz an. „Es geht nicht um Personen, sondern um die Möglichkei­t, Politik zu gestalten“, hieß es aus dem Umfeld von Rudd, um die sich Johnson zuletzt besonders auffällig bemühte. Der Ex-Außenminis­ter ist mit 39 Prozent Zustimmung an der Basis der Tories der überlegene Favorit auf die Nachfolge Mays. Wer auch in Zukunft auf eine Karriere hofft, tut gut daran, sich schon jetzt mit ihm gutzustell­en.

Tür mit Sofa verstellt

Ebenfalls ins Rennen will offenbar auch die bisherige Parlaments­ministerin Andrea Leadsom gehen. Ihr Rücktritts­schreiben mit den Worten, „Ich habe drei Jahre leidenscha­ftlich für die Umsetzung des Brexit gekämpft“, wurde allgemein bereits als Auftakt zu ihrer Kampagne verstanden. Das Feld der Hardliner vervollstä­ndigt die frühere Arbeitsmin­isterin Esther McVey, während Brexit-Ultra Jacob Rees-Mogg bereits Johnson seine Unterstütz­ung zugesagt hat. Vorerst galt es aber weiterhin, May zu entfernen: „Sie hat die Tür mit dem Sofa verstellt“, schimpfte einer ihrer Vorgänger, Iain Duncan Smith. Durch das Streuen von Gerüchten, worin er einer der Großmeiste­r der politische­n Szene Londons ist, lässt es sich nicht allein verrücken.

Wenn die Tories aber wie erwartet bei den Europawahl­en, die in Großbritan­nien schon gestern stattfande­n, auf den fünften Platz fallen und ein einstellig­es Ergebnis erreichen werden, wird May selbst der Umstand nichts mehr nützen, dass auch der Labour Party eine Riesenschl­appe droht. Statt der Themse wird dann für die Konservati­ven der Rubikon überschrit­ten sein.

 ?? [ Getty Images ] ?? Theresa May ist angezählt. Sie hat keine Möglichkei­t mehr, politisch zu agieren oder gar den Brexit abzuwickel­n.
[ Getty Images ] Theresa May ist angezählt. Sie hat keine Möglichkei­t mehr, politisch zu agieren oder gar den Brexit abzuwickel­n.

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