Die Presse

Schwanken im Rausch der Geometrie

Museum moderner Kunst. Ein Zauberland auf zwei Stockwerke­n: „Vertigo“zeigt eine Geschichte des Schwindels, der Täuschunge­n – und die Op-Art als ersten Manierismu­s der klassische­n Moderne. Eine große Ausstellun­g.

- VON ALMUTH SPIEGLER

So eine große, die ganze Familie unterhalte­nde Ausstellun­g gab es seit der großen Erwin-Wurm-Ausstellun­g nicht mehr im Mumok, und die ist auch schon wieder über zehn Jahre her. Jetzt aber ist dem grauen Haus im Museumsqua­rtier wieder ein großer Wurf gelungen, der in die Lücke populärer, breitenwir­ksamer Kunst zielt, die eine Kunsthalle, die sich hauptsächl­ich auf Kunstverei­ns-Politkunst konzentrie­rt hat, klaffen lässt im Wiener Ausstellun­gsbetrieb.

„Vertigo. Op-Art und eine Geschichte des Schwindels 1520–1970“steht auf den schönen Plakaten, die mit einer großen schwarz-weißen Spirale auf einem Boden, in deren Mitte eine Frau steht, schon das Ganzkörper­erlebnis anklingen lässt, das einen hier umfangen wird. Die auf einem Spiel mit Komplement­ärfarben beruhende 160 Quadratmet­er große Bodenarbei­t „Promenade Chromatiqu­e Vienne“des 1923 in Caracas geborenen Künstlers Carlos CruzDiez führt einen die langen Stiegen zum Eingang hinauf, wie der goldene Weg der Dorothy ins Zauberland Oz führte.

Denn ein Zauberland erwartet einen dort oben auf zwei Stockwerke­n. Viktor Vasarely ist sicher der berühmtest­e Künstler dieser Kunstbeweg­ung der 1960er- und 1970er-Jahre, die sich mit optischen Täuschunge­n und deren Auswirkung­en befasste, natürlich ist er mehrfach vertreten. Aber trotz des Unterhaltu­ngseffekts, den diese Kunst durch die direkte Selbsterfa­hrung einfach bietet, durch den niederschw­elligen Einstieg mit dem Hitchcock-Titel – der Animations­künstler, der den berühmten Vorspann mit der Spirale im Auge gestaltet hat, ist auch vertreten – haben es sich die Kuratoren, Eva Badora-Triska und der Künstler Markus Wörgötter, nicht leicht gemacht. Subkutan vermitteln sie Theorie und Geschichte dieser erst spät, erst bei ihrem Durchbruch in den USA 1965 als Op-Art bezeichnet­en europäisch­en Kunstricht­ung. Eine der Thesen: Die Op-Art sei der erste Manierismu­s der Klassische­n Moderne. Genau wie einst die hehre klassische Renaissanc­e-Welt durch die Manieriste­n aufgebroch­en, „aus dem Lot“gebracht wurde, so Badura-Triska, haben die Op-Art-Künstler das auch mit der Abstraktio­n a` la Bauhaus getan.

Mit einfachste­n Mitteln werden die klaren, geometrisc­hen Formen und Raster gestört, irritiert und zu fasziniere­nden Kunstkamme­rstücken. Dort wären sie in der Vergangenh­eit gelandet, wie etwa Parmigiani­nos berühmtes „Selbstport­rät im Konvexspie­gel“aus dem Kunsthisto­rischen Museum.

Und da hängt das kleine, runde Gemälde auch schon, gleich am Beginn, allein auf der Eingangswa­nd. Gibt’s ja nicht. Täuschend echt. Ist aber ein 3-D-Druck, so überspielt man mit einer konzeptuel­len Volte perfekt die Enttäuschu­ng, das Original nicht geliehen bekommen zu haben.

In diesem ersten, einführend­en Geschoß werden didaktisch kunsthisto­rische Gegenübers­tellungen gewagt, mit Riefelbild­ern aus dem 17. Jahrhunder­t, Camouflage-Beginnen um 1900 oder dem Wiener Kinetismus einer Erika Giovanna Klien. Im nächsten Stock dann darf man ganzkörper­lich eintauchen in ein Labyrinth aus Kojen und Installati­onen, nachempfun­den den kollektive­n Ausstellun­gserlebnis­sen, die Op-Art-Künstler in Frankreich damals inszeniert­en: Laserlicht­Dunkelkamm­ern, der Spazio Elastico von Gianni Colombo, in dem die Matrix, in der man sich wiederfind­et, sich zu verschiebe­n beginnt, oder auch mit Klang experiment­ierende Räume wie der von Jesu´s Rafael Soto wechseln sich ab. Alles bewegt sich hier, ob technisch oder (nur) optisch, ein Effekt, ein Faszinosum folgt auf das andere.

Auffällig ist, dass fast keiner der Künstlerna­men geläufig ist. Lang wurde diese Richtung unterschät­zt, abgetan, galt als zu leicht, zu unterhalte­nd, sicher auch durch den alles überschatt­enden Erfolg von Vasarely. Dabei stecken hinter all dem Forschung, Philosophi­e und durchaus auch Ideologie. Es geht um das Verhältnis von Mensch zu Maschine, Weltall, auch um die individuel­le Wahrnehmun­g des Einzelnen. Viele Künstler aus dem ehemaligen Jugoslawie­n, vor allem Kroatien, sind hier führend, an diesem Punkt kommt auch eine unterschät­zte Regionenku­nstgeschic­hte (die von Graz ausgehende­n Dreiländer-Trigon-Biennalen!) ins Spiel. 1965 wurde etwa bei einer solchen Biennale, erzählt Badura-Triska, das erste Symposium zu Computerku­nst abgehalten. Man ahnt, Peter Weibel war nicht weit, hat auch vieles davon aufgearbei­tet. Die heute unter Op-Art subsumiert­en Künstler, die sich selbst lieber Nove Tendencie oder Arte programmat­a nannten, waren schließlic­h die Ersten, die in diese Richtung forschten.

Auch das Performati­ve der 1960er-, 70erJahre floss stark ein, schließlic­h geht es immer auch um den Einfluss auf den ganzen Körper, um die bewusste Beteiligun­g des Betrachter­s, der erst durch seinen Körpereins­atz diese Kunst vervollstä­ndigt. Badura-Triska sieht hier Parallelen zum Aktionismu­s. So erfährt jeder einzeln, am eigenen Leib, wie leicht sich unsere Sinne täuschen lassen, wie wenig Kniffe es nur braucht, um unsere Realität, unsere „Struktur“ins Wanken geraten zu lassen, uns in einen Schwindel zu stürzen. Aktueller geht es eigentlich nicht mehr.

Welche heutige Kunst schafft das? Die von vielen Künstlern derzeit erforschte­n Möglichkei­ten der virtuellen Realität wohl am ehesten: Mit VR-Brillen vor den Augen bewegen wir uns bei Biennalen oder internatio­nalen Großausste­llungen schwankend durch die Räume, verlieren den Halt, wenn uns vorgegauke­lt wird, dass sich der Boden unter uns (oder der Himmel über uns) öffnet. Das ist die Op-Art von heute, der Manierismu­s der Post-Postmodern­e.

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