Es geht auch ohne Kurz
Österreichs Handlungsfähigkeit in der EU ist gewährleistet und hängt nicht von der Person des Bundeskanzlers ab.
Derzeit wird – mit Blick auf die Regierungskrise – die nötige Handlungsfähigkeit Österreichs auf EU-Ebene eingemahnt. Dafür bräuchte es Stabilität, und daher sei ein Misstrauensvotum gegen den Bundeskanzler unangebracht. Dass es sich dabei vor allem um ein vorgeschobenes Argument handelt, um die Personalvorstellungen der ÖVP auf europäischer Ebene abzusichern, wird gern übersehen.
Im angeblichen Europäischen Rat am kommenden Dienstag stehen etwa gar keine Entscheidungen an. Es könnten gar keine getroffen werden, da es sich lediglich um ein „informelles Abendessen der Staats- und Regierungschefs“handelt. Dabei wird sondiert, wer als künftiger EU-Kommissionspräsident infrage kommt. Die Nominierung erfolgt später und darüber hinaus mit qualifizierter Mehrheit (d. h. mindestens 15 Staaten und 65 % der Bevölkerung), da spielt Österreich wahrlich zu keiner Zeit das Zünglein an der Waage. Das Interesse von Sebastian Kurz liegt ganz woanders: Er möchte seinen EVP-Parteikollegen Manfred Weber von der bayrischen CSU auf den Posten hieven. Mit Österreichs Staatsinteressen hat das wenig zu tun.
Für die Arbeit in den zehn unterschiedlichen EU-Ministerratsformationen gibt es in der österreichischen Bundesverfassung die Möglichkeit, dass der Nationalrat für jeglichen Beschluss eine bindende Position vorgibt. Damit ist zu jeder Zeit eine Entscheidung auf Basis der Mehrheit im Nationalrat gesichert und jeder Minister bei seiner Abstimmung in Brüssel gebunden, sei er nun Politiker oder „nur“Experte.
Das einzig wirklich Ungewöhnliche wäre, dass das Parlament endlich einmal seine Kompetenzen gemäß Artikel 23e auch tatsächlich wahrnimmt und nicht wie bisher – aus purer Faulheit – Dinge einfach passieren lässt. Schließlich zeigt auch die Nichtteilnahme an den EU-Ministerräten am Montag und Dienstag sowie die Abwesenheit bei einem wichtigen Drittstaatstreffen am Donnerstag und Freitag, dass die derzeitige Regierung es momentan nicht unbedingt für nötig hält, in Brüssel anwesend zu sein. Die Regierung ist voll handlungsfähig und fährt trotzdem nicht nach Brüssel. Was sie übrigens auch vor der Krise nicht allzu oft gemacht hat.
Zur Nominierung des künftigen österreichischen EU-Kommissars muss das Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats hergestellt werden – damit ist das Parlament eingebunden und die Handlungsfähigkeit gesichert. Das einzige Problem für Kurz könnte sein, dass seine bisherige Favoritin Karoline Edtstadler im Hauptausschuss keine Mehrheit mehr findet. Aber auch das hat nichts mit einer „österreichischen Handlungsfähigkeit“zu tun, sondern ist vielmehr das alleinige Problem von ÖVPChef Kurz.
Für alle weiteren Top-Jobs auf EU-Ebene gibt es nicht einmal annähernd Kandidaten aus Österreich, da man es verabsäumt hat, solche aufzubauen. Und was die Mitgestaltung der EU-Zukunft angeht: Wer es nicht geschafft hat, während seiner EU-Ratspräsidentschaft politische Duftmarken zu setzen, wird dies auch über den kommenden Sommer nicht tun. Und selbst für den Fall, dass es kurzfristig keinen Bundeskanzler gäbe: die Bundesverfassung gibt es noch allemal her, dass der Bundespräsident im Europäischen Rat anwesend ist (Thomas Klestil hat übrigens seinerzeit an einem teilgenommen).
Die Regeln und Vorschriften in der Verfassung und in den EUVerträgen sind klar. Die Handlungsfähigkeit ist zu jedem Zeitpunkt gegeben, die EU funktioniert, und Österreich kann sich jederzeit voll einbringen. Für all das ist die Person Sebastian Kurz nicht nötig.