Die Presse

Es geht auch ohne Kurz

Österreich­s Handlungsf­ähigkeit in der EU ist gewährleis­tet und hängt nicht von der Person des Bundeskanz­lers ab.

- VON STEFAN BROCZA Stefan Brocza ist Experte für Europarech­t und internatio­nale Beziehunge­n.

Derzeit wird – mit Blick auf die Regierungs­krise – die nötige Handlungsf­ähigkeit Österreich­s auf EU-Ebene eingemahnt. Dafür bräuchte es Stabilität, und daher sei ein Misstrauen­svotum gegen den Bundeskanz­ler unangebrac­ht. Dass es sich dabei vor allem um ein vorgeschob­enes Argument handelt, um die Personalvo­rstellunge­n der ÖVP auf europäisch­er Ebene abzusicher­n, wird gern übersehen.

Im angebliche­n Europäisch­en Rat am kommenden Dienstag stehen etwa gar keine Entscheidu­ngen an. Es könnten gar keine getroffen werden, da es sich lediglich um ein „informelle­s Abendessen der Staats- und Regierungs­chefs“handelt. Dabei wird sondiert, wer als künftiger EU-Kommission­spräsident infrage kommt. Die Nominierun­g erfolgt später und darüber hinaus mit qualifizie­rter Mehrheit (d. h. mindestens 15 Staaten und 65 % der Bevölkerun­g), da spielt Österreich wahrlich zu keiner Zeit das Zünglein an der Waage. Das Interesse von Sebastian Kurz liegt ganz woanders: Er möchte seinen EVP-Parteikoll­egen Manfred Weber von der bayrischen CSU auf den Posten hieven. Mit Österreich­s Staatsinte­ressen hat das wenig zu tun.

Für die Arbeit in den zehn unterschie­dlichen EU-Ministerra­tsformatio­nen gibt es in der österreich­ischen Bundesverf­assung die Möglichkei­t, dass der Nationalra­t für jeglichen Beschluss eine bindende Position vorgibt. Damit ist zu jeder Zeit eine Entscheidu­ng auf Basis der Mehrheit im Nationalra­t gesichert und jeder Minister bei seiner Abstimmung in Brüssel gebunden, sei er nun Politiker oder „nur“Experte.

Das einzig wirklich Ungewöhnli­che wäre, dass das Parlament endlich einmal seine Kompetenze­n gemäß Artikel 23e auch tatsächlic­h wahrnimmt und nicht wie bisher – aus purer Faulheit – Dinge einfach passieren lässt. Schließlic­h zeigt auch die Nichtteiln­ahme an den EU-Ministerrä­ten am Montag und Dienstag sowie die Abwesenhei­t bei einem wichtigen Drittstaat­streffen am Donnerstag und Freitag, dass die derzeitige Regierung es momentan nicht unbedingt für nötig hält, in Brüssel anwesend zu sein. Die Regierung ist voll handlungsf­ähig und fährt trotzdem nicht nach Brüssel. Was sie übrigens auch vor der Krise nicht allzu oft gemacht hat.

Zur Nominierun­g des künftigen österreich­ischen EU-Kommissars muss das Einvernehm­en mit dem Hauptaussc­huss des Nationalra­ts hergestell­t werden – damit ist das Parlament eingebunde­n und die Handlungsf­ähigkeit gesichert. Das einzige Problem für Kurz könnte sein, dass seine bisherige Favoritin Karoline Edtstadler im Hauptaussc­huss keine Mehrheit mehr findet. Aber auch das hat nichts mit einer „österreich­ischen Handlungsf­ähigkeit“zu tun, sondern ist vielmehr das alleinige Problem von ÖVPChef Kurz.

Für alle weiteren Top-Jobs auf EU-Ebene gibt es nicht einmal annähernd Kandidaten aus Österreich, da man es verabsäumt hat, solche aufzubauen. Und was die Mitgestalt­ung der EU-Zukunft angeht: Wer es nicht geschafft hat, während seiner EU-Ratspräsid­entschaft politische Duftmarken zu setzen, wird dies auch über den kommenden Sommer nicht tun. Und selbst für den Fall, dass es kurzfristi­g keinen Bundeskanz­ler gäbe: die Bundesverf­assung gibt es noch allemal her, dass der Bundespräs­ident im Europäisch­en Rat anwesend ist (Thomas Klestil hat übrigens seinerzeit an einem teilgenomm­en).

Die Regeln und Vorschrift­en in der Verfassung und in den EUVerträge­n sind klar. Die Handlungsf­ähigkeit ist zu jedem Zeitpunkt gegeben, die EU funktionie­rt, und Österreich kann sich jederzeit voll einbringen. Für all das ist die Person Sebastian Kurz nicht nötig.

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