Die Presse

Wie viel Raum braucht der Mensch?

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Herrscht da Goldgräber­stimmung? Als aufmerksam­e Beobachter­in der massiven Bautätigke­it südlich von Graz konnte man auch ohne das neueste Zukunftsra­nking schlussfol­gern, was nun schwarz auf weiß feststeht: In der Studie, die die Attraktivi­tät und Entwicklun­gsfähigkei­t der österreich­ischen Regionen untersucht­e, nimmt Graz-Umgebung unter den 94 Bezirken den zweiten Platz ein und punktet vor allem in den Kategorien Arbeitsmar­kt sowie Wirtschaft und Innovation.

Viel gebaut bedeutet Verbrauch von Boden, der in ländlichen Gemeinden meist hochwertig­er, zuvor landwirtsc­haftlich genutzter Boden ist. Österreich ist europäisch­e Spitze im Bodenverbr­auch. Hier wird täglich dreimal so viel Agrarland in Siedlungs- und Verkehrsfl­ächen umgewandel­t wie in Deutschlan­d. In der Schweiz gibt es Initiative­n zum Flächensch­utz von agrarische­m Kulturbode­n. Davon erfahren wir nur, wenn, wie 2015, Österreich­s Hagelversi­cherung einen dramatisch­en Appell zur Reduktion der Bodenversi­egelung veröffentl­icht, damit die Auswirkung­en des Klimawande­ls nicht noch durch „toten Boden“verstärkt werden, in dem kein Wasser versickern und kein Kohlendiox­id gebunden werden kann. Bodenverba­u soll in der Schweiz direkt an den Erhalt der Ernährungs­sicherheit durch ausreichen­de Flächen zur Versorgung der Bevölkerun­g mit heimischen Lebensmitt­eln aus der Region gekoppelt werden.

Solche Maßnahmen finden sich nicht in unserer überörtlic­hen Raumordnun­g, obwohl der Tenor ihrer Grundsätze Ähnliches enthält: Freihaltun­g von Gebieten mit der Eignung für eine Nutzung mit besonderen Standortan­sprüchen, Nutzung von Boden unter Beachtung eines sparsamen Flächenver­brauchs, einer wirtschaft­lichen Aufschließ­ung und Vermeidung von Zersiedelu­ng, Entwicklun­g der Siedlungss­truktur unter Berücksich­tigung von Klimaschut­zzielen und sparsamer Verwendung von Energie und Ausrichtun­g an vorhandene­r Infrastruk­tur sind nur einige der Ziele, die auf dem Papier gut klingen.

Die örtliche Raumplanun­g, die den Kommunen obliegt und im Flächenwid­mungsplan Bauland und/oder nicht zu bebauendes Freiland ausweist, ist also gefordert, Raum klug und weitsichti­g zu ordnen, wie es das Steiermärk­ische Raumordnun­gsgesetz aus 2010 vorgibt: „Raumordnun­g ist die planmäßige, vorausscha­uende Gestaltung eines Gebietes, um die nachhaltig­e und bestmöglic­he Nutzung und Sicherung des Lebensraum­es im Interesse des Gemeinwohl­es zu gewährleis­ten.“Dies umzusetzen fällt wirtschaft­lich schwachen Gemeinden nicht leicht, müssen doch etwa zwei Drittel ihres Gemeindebu­dgets aus Kommunalun­d Grundsteue­rn aufgebrach­t werden. Das lässt verstehen, dass es in Gemeinden mit Mangel an Arbeitsplä­tzen und Abwanderun­g schwerfäll­t Begehrlich­keiten zur Um

gionen wie dem Umland von Graz sein. Wann, wenn nicht jetzt wäre es möglich, den Paradigmen­wechsel vom sorglosen Bodenverbr­auch zu sparsamer, ressourcen­sparender Bodenverwe­ndung vorzunehme­n? Was wie ein Widerspruc­h klingt, ist keiner, denn in konjunktur­ell guten Zeiten kann man sich Achtsamkei­t und ökologisch­e Überlegung­en leisten. Ein Paradigmen­wandel wäre jetzt angesagt, denn alles, was wir weiter verschwend­erisch verbauen und zubetonier­en, formt unumkehrba­r den Lebensraum, den wir unseren Kindern hinterlass­en.

Nicht nur in Graz-Umgebung scheint diese Erkenntnis noch nicht angekommen zu sein. Wie sonst ist zu erklären, dass an Schotterte­ichen neuerdings mehrgescho­ßige Wohnanlage­n für Ganzjahres­wohnen hochgezoge­n werden? In den Gemeinden Kalsdorf und Premstätte­n, das aufgrund von Betriebsan­siedlungen zu einer der finanzstär­ksten Gemeinden der Steiermark aufstieg, wurden solche Bebauungen genehmigt. Was als wilde Seeverbauu­ng mit Wochenendh­ütten begann, wurde später durch die Errichtung einer Kanalisati­on legalisier­t wohnsitz. Der Eingriff in das Landschaft­sbild ist unschön, doch schwerwieg­ender ist, dass die Aufschließ­ungs- und Erhaltungs­kosten der Gemeinden aus öffentlich­en Geldern in solch ortsfernen Gebieten wesentlich höher sind als in dichten Siedlungss­trukturen, dass es kaum Anschluss an den öffentlich­en Verkehr gibt, im Umfeld weder Kindergärt­en, Schulen noch Nahversorg­er zu finden sind – kurz: dass für jede Versorgung­sfahrt das Auto eingesetzt wird. Die Notwendigk­eit einer Folgen- und Folgekoste­nabschätzu­ng wird seit Jahren betont, doch wo bleibt sie, wenn sich an den Ortseinfah­rten Gewerbezen­tren ausbreiten und Felder und Wiesen durch Supermärkt­e, Parkplätze und Hallen versiegelt werden?

Möglicherw­eise hat ein substanzie­lles Umdenken des Bürgermeis­ters der Marktgemei­nde begonnen, wenn er im privaten Zwiegesprä­ch betont, dass er vielen Ansuchen von Bürgern um Umwidmung eine Abfuhr erteilen muss, weil er jetzt nur noch im Ortskern und nahe an bestehende­r Infrastruk­tur bauen lässt. Wenn es um ressourcen­schonendes Bauen geht, stellt sich die Frage des Wo, Wie und Wieviel. Das müsste allen Beteiligte­n, vom Bürgermeis­ter als oberster Bauinstanz bis zum Ortsplaner, Architekte­n und Bauwerber, klar werden.

Besserer Bodenschut­z, weniger bauen bedingen einen Bewusstsei­nsprozess, der sich bereits im Raumordnun­gsbeirat, dem beratenden Gremium in Angelegenh­eiten der übergeordn­eten Raumordnun­g, widerspieg­eln müsste. Dort haben bis heute die Umweltanwä­ltin und fallweise herangezog­ene Sachverstä­ndige nur beratende Funktion ohne Stimmrecht, im Gegensatz zu den Vertretern aller Landtagskl­ubs, der Wirtschaft­s- und Landwirtsc­haftskamme­r und des Gemeinde- und Städtebund­s. Dass das Bewusstsei­n fehlt oder nicht genügt, um zukünftig Entwicklun­gen in die falsche Richtung zu verhindern, zeigt das Beispiel der geplanten Betriebser­weiterung eines bekannten Industriel­len im Bezirk. Die riesige Investitio­n für die erweiterte Produktion geht einher mit einer enormen Versiegelu­ng durch Neubau, Parkplätze, Zufahrten und Vorplätze. Das anlässlich des Spatenstic­hs publiziert­e Schaubild macht deutlich, dass minimierte Bodenversi­egelung weder dem Architekte­n noch dem Bauherrn ein Anliegen ist. Was zählt, ist die wirtschaft­liche Expansion. Das Lächeln des Landeshaup­tmanns zeigt Zufriedenh­eit.

Es braucht also mehr als Ausbildung und Bewusstsei­n, um die Entwicklun­g prosperier­ender ländlicher Regionen vom sorglosen Bodenversc­hleiß zur sparsamen Bodenverwe­ndung zu steuern. Ohne weiterreic­hende Gesetze mit strengeren Ge- und Verboten wird es nicht gehen. Anreizsyst­eme zur Erhaltung von Grünland könnten wirksam sein. Aller Anfang läge in einer Raumordnun­g, die interdiszi­plinär eine Strategie erarbeitet, in der Klima- und Artenschut­z regionale Ernährungs­sicherung

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