„Fehlverhalten nicht zu billigen“
Ibiza-Gate. Michael Enzinger, Präsident der Rechtsanwaltskammer Wien, sieht für Anwälte keine Möglichkeit, verbotenes Verhalten wie beim Ibiza-Video mit öffentlichem Interesse zu rechtfertigen.
„Wir untersuchen bereits sämtliche in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Verdachtsmomente.“Michael Enzinger, wiedergewählter Präsident der Rechtsanwaltskammer Wien, will mit aller Konsequenz den Vorwürfen nachgehen, die rund um Ibiza-Gate gegen einen seiner Berufskollegen erhoben werden. Er habe, sagt Enzinger im Gespräch mit der „Presse“, unmittelbar nach Bekanntwerden der möglichen Involvierung eines Wiener Anwalts eine Kanzleiüberprüfung angeordnet.
Wie berichtet, steht ein Rechtsanwalt im Verdacht, eine Schlüsselfigur in der Ibiza-Affäre gewesen zu sein: Er könnte daran mitgewirkt haben, die Falle für die beiden ehemaligen FPÖ-Politiker zu legen. Die Kammer geht insbesondere dem Verdacht der Geldwäsche nach, sagt Enzinger.
„Jedes in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Fehlverhalten eines Anwalts ist ein Problem für das Image der Anwaltschaft, besonders dann, wenn es ein dem Anschein nach so gravierendes ist.“Und: „Wir sind nicht so“, sagt Enzinger, ein Wort von Bundespräsident Van der Bellen aufgreifend. „Die Anwaltschaft ist nicht so, wie dieses Bild des Anwalts in der Öffentlichkeit erscheint.“
Je nachdem, was bei den Untersuchungen herauskommt, werde es jedenfalls eine disziplinarrechtliche Überprüfung geben. Was strafrechtlich relevant sei, müsse die Staatsanwaltschaft klären. Ob es eine Rechtfertigung geben könnte, wenn die Aktion im Interesse der Öffentlichkeit am Aufdecken korrupten Verhaltens gesetzt worden wäre („zivilgesellschaftlich motiviert“, wie die Verteidigungslinie nun lautet)? „Meines Erachtens gibt es da keine Güterabwägung, um ein derartiges Fehlverhalten eines Rechtsanwalts zu billigen.“
Enzinger ist vor einem Monat in der Vollversammlung der Wiener Anwaltskammer mit großer Mehrheit als Präsident bestätigt worden. Standespolitisch will er das anwaltliche Treuhandbuch, das anvertraute Gelder absichert, auf bessere Beine, die berufseigene Versorgungseinrichtung auf eine breitere Basis stellen.
So sehr ihn die vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung von knapp 30 Prozent der Wiener Anwälte freute, so wenig gefiel ihm „eine Ideologisierung des Wahlkampfes“. Enzinger spielt damit auf Aussagen eines der Kandidaten um das Vizepräsidentenamt an: Eric Heinke. Der war mit einer außerhalb der traditionellen Vorauswahl in der Sobranje (so hieß früher auch das Parlament in Bulgarien) erstellten Liste angetreten. Von seinem Hauptkontrahenten, dem in der Sobranje zum Kandidaten gekürten Rüdiger Schender, hatte er sich damit abgegrenzt, dass er „parteipolitisch nicht vorbelastet“sei.
Schender hat eine politische Vergangenheit: Er war unter anderem Abgeordneter der FPÖ im Parlament. Das liegt allerdings Jahre zurück, und für Enzinger sollte „die parteipolitische Ausrichtung für die Funktionäre keine Relevanz haben“. Ein früheres politisches Amt dürfe kein Argument gegen eine Betätigung in der Standesvertretung sein, findet Enzinger.
„Kein Vertrauen“zum Vize
Schender lag jedenfalls im ersten Wahlgang so knapp vor Heinke, dass sich beide vorige Woche einer Stichwahl stellen mussten. Und diesmal setzte sich Heinke mit 480 gegen 424 Anwaltsstimmen (bzw. 112:46 bei den Rechtsanwaltsanwärtern) durch. Heinke ist daher Vizepräsident der Kammer (wie auch Brigitte Birnbaum und Michael Rohregger). Für Enzinger ist es „nicht auszuschließen, sondern eher wahrscheinlich“, dass Heinkes Polit-Argument angesichts der schweren FPÖ-Turbulenzen noch mehr verfangen hat.
„Ich habe jetzt einen Vizepräsidenten, den ich mir nicht ausgesucht habe und der vor allem mein Vertrauen nicht genießt.“Was das bedeute? „Das ist eine Situation, die sehr komplex ist und für die man Lösungen wird finden müssen.“Noch hat Enzinger keine.
Heinke äußerte sich indes zufrieden mit seiner Wahl: „Es freut mich sehr, dass ich die Stichwahl dank des Vertrauens vieler Kolleginnen und Kollegen für mich entscheiden konnte“, so Heinke zur „Presse“. Es ist ein demokratisches Privileg, wenn man in einer starken, selbstbewussten und autonomen Selbstverwaltung überhaupt die Möglichkeit einer Wahl hat.