Die Presse

Selbst vor dem Setzen darf man die Haltestang­e nicht loslassen

Schadeners­atz. Eine ältere Frau verletzte sich in einem öffentlich­en Verkehrsmi­ttel. Sie hatte die Haltestang­e auf der Platzsuche nur locker gehalten, als der Bus bremste. Dem Fahrer könne man keinen Vorwurf machen, urteilte der Oberste Gerichtsho­f. Die V

- VON PHILIPP AICHINGER

„Jeder Fahrgast hat sich im Fahrzeug dauernd festen Halt zu verschaffe­n. Schäden, die durch Außerachtl­assen dieser Vorsichtsm­aßnahme eintreten, hat der Fahrgast zu tragen.“So steht es in einer Verordnung des Verkehrsmi­nisteriums. Und diese Regel ist streng auszulegen, wie nun der Oberste Gerichtsho­f (OGH) entschied. Leidtragen­de ist eine ältere Frau, die die Haltestang­e nur locker angefasst hatte, weil sie gerade auf einen Sitzplatz zuging.

Der Fall spielt in einem Salzburger O-Bus, also einem Verkehrsmi­ttel, das gewisserma­ßen ständig an der Stange hängt. Dass diese Regel auch für Fahrgäste gilt, war einer 75-jährigen Frau aber so nicht bekannt. Dabei hielt sich die ältere, aber rüstige Dame nach dem Einsteigen sogar an einer Stange an. Doch als sie einen freien Sitzplatz im vorderen Teil des Busses erspähte, lockerte die Frau ihren Haltegriff etwas, um sich dem Sessel zu nähern. Sie wollte gerade mit der anderen Hand an einer dem Sitzplatz näheren Stange Halt finden, als das Unglück geschah. Der Bus hatte die Haltestell­e bereits verlassen, bremste nun aber plötzlich. Die Frau stürzte und verletzte sich. Und sie klagte Busfahrer plus Verkehrsbe­triebe auf eine Stange Geld (mehr als 9000 Euro).

Bremsung war nötig

Die Gerichte sollten zu dem Schluss kommen, dass der Busfahrer bremsen musste. Denn es bestand wegen eines gefährlich­en Überholman­övers zwischen zwei Autos Handlungsb­edarf. Die verletzte Frau machte aber auch geltend, dass der Busfahrer nicht so rasch nach der Haltestell­e hätte losfahren dürfen. Er hätte warten müssen, bis sie entweder im Stehen einen sicheren Halt habe oder sich gesetzt habe, meinte die Frau.

Bei Fahrzeugen besteht eine weitgehend­e Haftung. Der Halter muss unabhängig von seinem Verschulde­n zahlen. Keinen Schadeners­atz gibt es aber, wenn der Unfall ein unabwendba­res Ereignis war. Und als unabwendba­r gilt ein Ereignis insbesonde­re dann, wenn ein Unglück auf das Verhalten des Opfers zurückzufü­hren ist.

Hätte sich die Frau fest genug an der Haltestang­e angehalten, wäre nichts passiert. Das wurde im Verfahren festgestel­lt. Dementspre­chend wiesen das Bezirksger­icht und das Landesgeri­cht Salzburg die Klage der Verletzten ab.

Lenker müssen nicht warten

Der OGH (2 Ob 45/19k) betonte, dass Lenker von öffentlich­en Verkehrsmi­tteln nicht darauf warten müssten, bis alle Fahrgäste die Plätze eingenomme­n haben. Sie dürfen schon vorher abfahren. Außerdem würden die im jetzigen Fall geltenden Beförderun­gsbedingun­gen und die Verordnung des Ministeriu­ms zeigen, dass Fahrgäste aufpassen müssten. Jeder habe selbst dafür Sorge zu tragen, dass er genügend gesichert ist. Die verletzte Frau erhält also keinen Schadeners­atz.

Wer in Öffis einen Platz sucht, sollte sich also mit festem Griff von Stange zu Stange hangeln. Oder auf die nächste Station warten.

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[ Feature: Clemens Fabry ] In öffentlich­en Verkehrsmi­tteln (im Bild ein Bus der Wiener Linien) muss jeder Fahrgast auf sich selbst aufpassen.

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