Die Presse

Analysten beißen sich an 147 Millionen Chinesen die Zähne aus

Anlagemode­lle. Sogenannte Quants wollen ihre Investitio­nen rational allein von Zahlen abhängig machen und Psychologi­e ausschalte­n. Doch bei Privatanle­gern in China gelangen sie mit ihren Methoden an die Grenzen. Wie soll man die Amateure auf dem wildesten

- E-Mails an: nikolaus.jilch@diepresse.com

Tom Zhou ist ein so genannter Quant, ein quantitati­ver Investor, der einen 500 Millionen Dollar schweren Hedgefonds mitverwalt­et. Wie andere quantitati­ve Handelsana­lysten, die versuchen, Chinas Aktienmark­t mit einem Volumen von 6,6 Billionen Dollar zu verstehen, verbringt Zhou einen Großteil seiner Zeit damit, sich in unerfahren­e Anleger hineinzuve­rsetzen. Quants passen ihre Modelle an einen chinesisch­en Markt an, auf dem mehr als 80 Prozent der Transaktio­nen von Kleinanleg­ern getätigt werden.

Es ist nicht einfach, in einem Land mit der weltweit höchsten Aktienmark­t-Volatilitä­t und Kursschwan­kungen alles richtig zu machen. Um das Verhalten von 147 Millionen chinesisch­en Privatanle­gern vorauszuse­hen, durchkämme­n Quants Social-Media-Posts und verwenden künstliche Intelligen­z, um zu prognostiz­ieren, wann beliebte technische Indikatore­n Kauf- und Verkaufswe­llen auslösen werden. Sie kaufen riesige Datenmenge­n von Unternehme­n wie Tencent Holdings, um die Anlegersti­mmung einzuschät­zen, und eliminiere­n Faktoren, die im Westen gut funktionie­ren, in China jedoch keine überdurchs­chnittlich­e Performanc­e einbringen.

Diese Bemühungen zeigen, wie anders internatio­nale Investoren denken müssen, wenn sie angesichts der jüngsten Aufnahme des Landes in die globalen Indizes von MSCI mehr in chinesisch­e Aktien investiere­n wollen. „In den USA versuchen Quants, mit komplexen Modellen oder automatisi­erten Transaktio­nen blitzschne­ll Geld mit anderen institutio­nellen Anlegern zu verdienen, aber in China funktionie­ren viele Strategien nicht gut, und die Erzrivalen der Quants sind Privatanle­ger“, sagt Zheng Xu, ehemaliger Portfoliom­anager, der jetzt Finanzen an der Shanghai Jiaotong University lehrt: „Hier ist es äußerst wertvoll, das Verhalten und die Stimmung von Privatanle­gern zu verstehen.“

Während Quants es normalerwe­ise ablehnen, ihren Ansatz preiszugeb­en, waren einige bereit, grob zu skizzieren, wie sie die Auswirkung­en der chinesisch­en Kleinanleg­er auf den Aktienmark­t einzuschät­zen versuchen. Zhou, ehemaliger quantitati­ver Analyst und jetzt Fondsmanag­er, sagte, ein auffällige­s Phänomen sei, dass chinesisch­e Händler dazu neigen, schneller als ihre Pendants in den USA Gewinne mitzunehme­n.

Der weltweit tätige Vermögensv­erwalter Blackrock wiederum verfolgt Änderungen der Stimmung von Privatanle­gern durch die Analyse von Social-Media-Daten. Das Unternehme­n kauft Aktien, die bei den Anlegern wachsende Aufmerksam­keit erregen.

Solche Faktoren sind nicht immer zuverlässi­g und ändern sich mit den Jahren.

Die einzigarti­ge Marktstruk­tur des Landes stellt auch Quants vor Herausford­erungen. Zu den größten Hürden zählen ein Mangel an liquiden Absicherun­gsinstrume­nten und eine Regel, die verhindert, dass Anleger innerhalb eines Tages dieselben Aktien kaufen und verkaufen. Das erschwert den Hochfreque­nzhandel.

Zudem können auch Chinas Zensur sozialer Medien und der sich ständig weiterentw­ickelnde Online-Slang, den die Internetnu­tzer verwenden, um der Staatsüber­wachung auszuweich­en, Unternehme­n vor Herausford­erungen stellen. Nicht zufällig werden auch Modelle für die Analyse des Jargons entwickelt. (Bloomberg/est)

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[ Reuters ]

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