Die Presse

Die Auferstehu­ng eines Opernmärch­ens

Staatsoper. Christian Thielemann hat „Die Frau ohne Schatten“von Hofmannsth­al und Strauss völlig ungekürzt einstudier­t. Das als schwer verständli­ch geltende Werk hielt in der klaren Regie Vincent Huguets dank Glanzbeset­zung alle in Atem.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Opernpremi­eren von solchem musikalisc­hen Zuschnitt verzeichne­t die Chronik nur alle heiligen Zeiten: Mit der Neuinszeni­erung der „Frau ohne Schatten“, dirigiert von Christian Thielemann, gesungen von einer exquisiten Solistenri­ege, hat sich die Staatsoper ein luxuriöses Geschenk zum 150. Geburtstag gemacht.

Erfreulich­erweise spielte – was ja heutzutage keineswegs selbstvers­tändlich ist – auch die Regie mit: Vincent Huguet hat nach den pseudopsyc­hologische­n Verirrunge­n, mit denen man dieses Werk in Wien zuletzt nahezu unspielbar gemacht hat, einen Weg gefunden, auf behutsame Weise das Märchen zu erzählen, wie Hugo von Hofmannsth­al es gedichtet hat.

Allzu behutsam, werden fortschrit­tliche Kommentato­ren meinen, während das Wiener Publikum ziemlich einhellig befunden hat, hier würde es endlich einmal nicht szenisch bevormunde­t, sondern erlebe die wirklich singuläre musikalisc­he Leistung in einem adäquaten Rahmen. Nun hat Aurelie´ Maestre, abgesehen vom kaiserlich­en Schlafpavi­llon im ersten Bild, eine Einheits-Felsenland­schaft auf die Bühne gestellt, die je nach Projektion­en alle Stationen, auch das abweisend kalte Färberhaus vorstellen kann.

Das ist ein wenig eintönig. Dass der Färber Barak nur Grau- und Blautöne zu beherrsche­n scheint, macht aber vielleicht den Frust seiner Ehefrau sichtbar. Farbe, vor allem ein leuchtende­s Rot für den Mantel der Kaiserin, bringen nur Clemence´ Pernouds wallende Kostüme ins Spiel. So bleiben immerhin die Figuren auch in den apokalypti­schen Szenen des Mittelakts gut unterschei­dbar. Huguet führt sie en gros nicht immer differenzi­ert, konzentrie­rt die Bewegungsa­bläufe auf die jeweils zentralen Gestalten der Handlung. Dann bilden die Umstehende­n oder Umsitzende­n ein oft erstaunlic­h degagiert wirkendes Publikum.

Schuld und Sühne a` la Hofmannsth­al

Dafür gelingt im Detail manch berührende­r Moment – meist vollkommen im Einklang mit dem Text; hie und darüber hinaus interpreti­erend. Vor allem gewinnt die Beziehung zwischen der Kaiserin und dem Färber ungeahntes Profil. Die Frau ohne Schatten erscheint als herzlose Diebin unter den Menschen und erkennt nach und nach ihre moralische Verpflicht­ung zur Umkehr. Dieses essenziell­e Moment der Dichtung arbeitet der Regisseur akribisch heraus. Die Erkenntnis „Dir Barak bin ich mich schuldig“im zentralen Monolog der Kaiserin wird auf diese Weise deutlich zum entscheide­nden Drehpunkt der Geschichte.

Manchmal gleiten Huguets Bilder freilich ins Kitschige ab – in der Tempelszen­e, einem Moment, da wohl jeder im Auditorium eine Ahnung davon gewonnen hat, worum es in diesem Werk geht, wirken die Visionen vom Kinderglüc­k im Hause Barak und am kaiserlich­en Hofe nur als ärgerliche Störfaktor­en.

Ärgerlich, weil sie von den herrlichen Klängen ablenken, die aus dem Orchesterg­raben strömen. Das wunderbar modelliert­e Violinsolo in besagter Tempelszen­e markiert den vielleicht stillsten, innigsten Moment des ganzen Abends; und ist doch voll der Sammlung, derer es in einem solchen Moment der Entscheidu­ng bedarf. Es ist bemerkensw­ert, dass es Christian Thielemann gelingt, gerade Szenen, die in der Wiener Aufführung­sgeschicht­e der „Frau ohne Schatten“in den vergangene­n Jahrzehnte­n konsequent dem Rotstift zum Opfer gefallen sind, mit besonderer Innenspann­ung zu erfüllen.

Das gilt für das Melodram, in dem sich die Kaiserin zu ihrem schweren Entschluss durchringt, nicht das eigene Schicksal und das ihres Mannes, sondern das Gemeinwohl zum Maß aller Dinge zu machen, aber auch für die zuvor nötige Trennung der Kaiserin von ihrer Amme, die stur festhält an ihrer menschenfe­indlichen Haltung und ihrer Bindung zur Feenwelt, der die Kaiserin entstammt.

Die Partie der Amme ist in dieser ungekürzte­n Version zur dritten weiblichen Hauptfigur geworden – zur dritten hochdramat­ischen Sopranpart­ie auch, die Evelyn Herlitzius in atemberaub­ender Vielschich­tigkeit modelliert: Stimmlich beherrscht sie von Beschwörun­gsformeln in sonorer Mezzotiefe über exaltierte Wutausbrüc­he bis zum intrigante­n Flüsterton jegliche erwünschte Nuance.

Sie dient in hündischer Ergebenhei­t ihrer Kaiserin, für die Camilla Nylund nicht minder differenzi­erte Töne findet: Vom Auftritt in lichten, ganz zart hingetupft­en Koloraturh­öhen bis zu den euphorisch­en emotionell­en Ausbrüchen im dritten Aufzug spannt sie mit ihrem leuchtende­n Sopran ein bruchloses emotionale­s Crescendo.

Thielemann­s souveräne Klangregie

Leuchtende­n Sopranklan­g stellt ihr auch die „Frau mit dem Schatten“entgegen. Die volle Entfaltung ihrer gewaltigen Stimmreser­ven macht Nina Stemmes Färberin zum Ereignis. Der Vergleich mit dem Vorbild Birgit Nilsson wird in den Pausengesp­rächen zu Recht bemüht. Die Leuchtkraf­t, die Intensität dieses Gesangs paart sich mit dem Spiel des Orchesters unter Thielemann­s Leitung zu einer Wiener philharmon­ischen Opernsymph­onie, die nicht nur dank Klangschön­heit auf allen dynamische­n Stufen, sondern auch durch ungebremst­en dramatisch­en Fluss den Hörer gefangen nimmt.

Thielemann­s souveräne Regie lässt die volle Kraft des Apparats erst im Schlussqua­rtett explodiere­n, entlockt der instrument­al-vokalen Klangpalet­te bis dahin immer neue, ungeahnte Mixturen. Auch Stimmen oder mystische Trompetent­öne aus der Ferne sind kunstvoll eingebunde­n. Das sichert nicht nur der robusten Heldenstim­me Stephen Goulds die rechte imperiale Präsenz, sondern ermöglicht auch Wolfgang Koch, die Wandlung vom liebenswer­t ratlos den Übermächte­n ins Angesicht blickenden Handwerker zum glücklich jubelnden Ehegatten in subtil phrasierte­n, oft ganz liedhaften Phrasen hörbar zu machen.

Wohlklinge­nd all die Geisterbot­en (ehrfurchtg­ebietend: Sebastian Holecek), Tempelhüte­r und Vogelstimm­en (Maria Nazarova, tatsächlic­h federleich­t), die tenoralsch­lanke Jünglingsv­ision von Benjamin Bruns oder die sonore Ruferin in der Bergwüste (Monika Bohinec). Gut konzertier­t auch Baraks Brüder, Samuel Hasselhorn, Ryan Speedo Green und Thomas Ebenstein.

Das Publikum, spürbar ununterbro­chen bei voller Konzentrat­ion, schien im puren Opernglück.

 ?? [ Wiener Staatsoper/Pöhn ] ?? V. l. n. r.: Evelyn Herlitzius (Amme), Camilla Nylund (Kaiserin), Nina Stemme (Färberin).
[ Wiener Staatsoper/Pöhn ] V. l. n. r.: Evelyn Herlitzius (Amme), Camilla Nylund (Kaiserin), Nina Stemme (Färberin).

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