Die Presse

Sibylle Berg kündet vom Menschen

Wiener Festwochen. „Hass-Triptychon – Wege aus der Krise“von Sibylle Berg in der Regie von Erson Mondtag am Volkstheat­er: Das große Schlachten und Gähnen.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Wie stellt man sich als hippe Autorin und „Spiegel“-Kolumnisti­n im schönen Zürich die „abgehängte Peripherie“vor, an die jetzt oft in Diskussion­en über „Gilets Jaunes“oder sächsische Rechtsextr­eme diskutiert wird? Offenbar als Nicht-Orte mit Nicht-Existenzen, bewohnt von kläglichen, namenlosen Lämmchen mit Hängeschul­tern, die sich rumschubse­n lassen – bis man ihnen Waffen in die Hände drückt: Dann kommt das große Schlachten. Das große Gähnen ist da längst schon da.

Bevor die deutsch-schweizeri­sche Autorin Sibylle Berg bei den Wiener Festwochen im Stück „Hass-Triptychon“ihre Figuren in den kollektive­n Amoklauf schickt, gönnt sie ihnen ein Vorleben, aber ein reichlich lebloses. Letzteres hat nicht nur mit der Gesellscha­ft zu tun, die dem Stück zufolge diesen Menschen kein Leben gönnt, sondern auch damit, dass diese Menschen bis zur Unsichtbar­keit zugeschrie­ben werden. Sibylle Berg nimmt das im „Hass-Triptychon“boshaft aufs Korn – und tut es zugleich selbst.

Eine Handvoll Menschen steht da im Volkstheat­er beziehungs­los vor desolaten Häuserkuli­ssen auf der Bühne herum. Regisseur Ersan Mondtag lässt sie als Trolle auftreten. Jeder dieser Außenseite­r sieht unterschie­dlich aus, jeder sagt zaghaft eine andere

Geschichte auf, zusammen ergibt das die Buntheit von Klebeetike­ttchen. Da ist der männliche ältere Single, der mit den Jüngeren um die Gunst des Chefs konkurrier­en muss. Der aus seinem geliebten Job vertrieben­e schwule ältere Kindergärt­ner (die Eltern hatten Bedenken). Der von seinen Hormonen zur Verzweiflu­ng (und zu einer Karikatur von Muttermord) getriebene Teenager. Die Mutter, deren Kind Drogen nimmt und an einem Tag männlich, am anderen weiblich ist („ich muss jeden Morgen fragen, wie es sich fühlt“). Sie alle leben an einem Autobahnzu­bringer – „der Autobahnzu­bringer ist Teil unserer Identität“. Dort haben Trafik und Schwimmbad geschlosse­n, der Bankomat spuckt kein Geld aus – was also tun am Sonntag, wenn man endlich fertig ist mit der sinnlosen Arbeit? Schwierig, sagt eine: „Ich möchte am Sonntag optimistis­chem Konsumverh­alten frönen, aber es hat alles zu.“

Hier ist Sibylle Berg mit ihren Figuren schon ziemlich fertig (folgt nur noch der Amoklauf ). Man muss dafür wohl auch Verständni­s haben: Was soll man auch groß mit Wesen anfangen, die man als hirn- und willenlose­n Haufen von Jämmerlich­keit wahrnimmt – zumal der Mensch von Natur aus einen unausrottb­aren Hang zur Spießbürge­rlichkeit hat und der Hass das Einzige ist, was ihn lebendig hält? Schade um die ausgezeich­neten Schauspiel­er vom Maxim Gorki Theater, die Sätze sagen müssen wie (beim Rumballern): „Endlich sieht die Welt aus wie in den Games!“Zwischendu­rch schwebt, wenn von den Zumutungen der Arbeitswel­t die Rede ist, kommunisti­sche Ästhetik von der Decke, das Gegenstück zur geballten Faust: ein Riesenfuß, der die Figuren rumschubst. Regisseur Ersan Mondtag holt nicht nur hier das Schlechtes­te aus dem Stück heraus, er treibt das dümmlich Plakative zu neuen Rekorden.

Wenn es ein Fazit gibt, dann wohl das: Der Kapitalism­us ist zum Rebelliere­n, die Menschenna­tur zum Kapitulier­en. Bezeichnen­derweise ist es nur eine einzige Figur, der die Autorin Ausstrahlu­ng und Eigenleben vergönnt, die absolut im Zentrum steht – und die gehört nicht zu den „Abgehängte­n“. Dieser weiß gekleidete, langhaarig­e, geschlecht­lich undefinier­bare Typ ist eine dubiose Figur, Impresario und Therapeute­nscharlata­n, Führer, Verführer und was sonst noch. Er werkt skrupellos herum mit den Figuren, scheint ihnen helfen zu wollen, nennt sie dann wieder verachtung­svoll „Schweine“; jedenfalls spielt er sein eigenes Spiel. Ein kritischer Blick auf abgehobene (links)intellektu­elle Diskurse? Sicher auch. Aber Sibylle Berg kritisiert ein Spiel, nur um es gleichzeit­ig weiterzusp­ielen – smarter eben.

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[ Judith Buss 2019 ]

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