Thailändische Lightshow, Land unter im Theater an der Wien
Festwochen. „Fever Room“von Apichatpong Weerasethakul, der 2010 in Cannes die Goldene Palme gewann, zeigt Grenzen der Fusion von Bühnenkunst und Film, ist aber dennoch eindrucksvoll: Son et Lumi`ere einmal anders – gespenstisches Erlebniskino aus einem ve
Wir stolpern durch die Dunkelheit. Nicht nur die Welt, auch Kunst wird ganz schnell unwirtlich, wenn es stockfinster ist. Wir sitzen auf der Bühne des Theaters an der Wien. Wir schauen in den Zuschauerraum, doch wir sehen nichts, blind wie Schauspieler, die, geblendet von Scheinwerfern, nur erahnen können, was da passiert, hinter der imaginären vierten Wand, wo das unberechenbare Tier Publikum lauert. Bei „Fever Room“vom thailändischen Filmregisseur Apichatpong Weerasethakul, eine Performance, die am Samstag bei den Wiener Festwochen Premiere hatte, lehrt zunächst nicht das Publikum, sondern die Technik das Fürchten. Schließlich findet die Aufführung doch statt.
Sie zeigt die Grenzen zwischen Film und Theater. Schauspiel im Sinn von Rede und Gegenrede, Konflikten, Mord, Königsmord, alles über die Sprache verhandelt, findet nicht statt. „Für so etwas gibt man Geld aus“, ärgerte sich eine Dame. „Toll!“, lobte ein älteres Ehepaar die Produktion. Zu erleben ist ein meist meditativer Film auf mehreren Leinwänden. Ferner gibt es eine Licht- und Tonshow. Son et Lumi`ere, das sind Touristenattraktionen, die, egal ob in Ägypten, Paris oder Wien einen Überblick über Attrak
tionen eines Ortes bieten. Inzwischen ist die multimediale Technik weit entwickelt und diversifiziert, aber das Grundprinzip bleibt. Weil Menschen sich immer schneller und öfter an immer weiter entfernte Orte bewegen, wollen sie rasche Info, am besten mit Aura und saftigen Geschichten. An diesen mangelt es nicht – aus Thailand.
Aber Apichatpong Weerasethakul beleuchtet eher das Verborgene und die Schattenseiten seiner Heimat. Zwei Stimmen, ein Mann und eine Frau, sprechen von Träumen, Träume, die schließlich ausbleiben – weil nichts besser wird? Wir sehen eine Frau im Spital, Menschen auf Baustellen. (Nikolaus Geyrhalters neuer Film „Erde“über die brutalen Eingriffe des Menschen in diese ist derzeit im Stadtkino zu sehen).
Wir sehen Versatzstücke aus der Idylle Thailands wie Berge in der Ferne, einen Pavillon, Boote. Alles schaut irgendwie grau aus. Wir denken an ökologische Probleme, Plastik, verendete Wale. Wir sehen wichtige Symbole. Eine Statue des Diktators Sarit Thanarat (1908–1963), der Offizier kam 1957 durch einen Putsch an die Macht. Er war korrupt, doch die Wirtschaft florierte, eine bekannte Konstellation. Später wurden beim Kampf gegen Drogen gleich auch Oppositionelle ausgeschaltet. Heute spüren selbst Touristen die Resignation im Land. Immerhin: Milde lächelt die buddhistische Göttin der Barmherzigkeit, Quan Yin, auf die Zuschauer herab, einige sitzen auf dem Boden, Yogis und andere sind bei dieser schmerzhaften Übung im Vorteil. Sie spürten wohl auch am stärksten die Wirkung des Lichtspiels, das laut Programmfolder an die repressive Politik in Thailand erinnern soll, vor allem aber wohl den Tsunami durchaus leibhaftig heraufbeschwört, der 2004 in Südostasien 230.000 Menschen in den Tod riss.
Ohrenbetäubend rauscht das Wasser, dreht sich in endlosen Wirbeln, grelle Suchscheinwerfer eilen umher. Und der Zuschauer mag sich die letzten verzweifelten Blicke der Menschen nach oben vorstellen.
Zum Schluss der 90-Minuten-Performance kommt noch einmal der junge Mann in der Höhle zu Wort. Obwohl der Bursch Malereien erkundet und schließlich sogar ein Nickerchen hält, erinnert er wohl jeden an die eingeschlossenen Jugendlichen, die 2018 nach zweieinhalb Wochen in einer überfluteten Tropfsteinhöhle nahe Thailands Grenze zu Myanmar gerettet wurden.
Arztsohn Weerasethakul (48) studierte am Art Institute of Chicago. Seine Bilder sind durchaus westlich geprägt. Trotzdem spinnt er, näher besehen, große Erzählungen über Realitäten und Mythen seiner Heimat. Für „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“erhielt er 2010 als erster Thailänder die Goldene Palme in Cannes.
Der Film handelt von einem Mann, der nach einem Nierenversagen sein Ende kommen sieht und aufs Land reist, um im Kreise seiner Familie zu sterben. Einige Motive aus „Uncle Boonmee“erinnern an „Fever Room“, vor allem die Kluft zwischen der anonymen Spitalsatmosphäre mit überfüllten Wartesälen, in denen Menschen sich schwerlich als Individuen fühlen, und den lebhaften Rückblenden in ihr früheres Leben.
Die Festwochen stecken in einer Zwickmühle zwischen Menschen, die sich nach klassischem Schauspiel sehnen, und jenen, die sich für internationales Erlebnistheater begeistern. Mit dem Simulationsoverkill von Hollywood kann „Fever Room“nicht mithalten, das will der Regisseur wohl auch nicht, aber seine vielschichtig symbolhafte Beleuchtung eines Landes jenseits der Postkartenidylle hat etwas Virtuoses – sofern man bereit ist, sich auf das Gemächliche, Melancholische und Brüchige einzulassen, das einen scharfen Kontrast zu dem flotten, allzeit bereiten Tourismusbetrieb bietet, den Pauschalreisende in Thailand erleben.