Die Presse

Leitartike­l von Rainer Nowak: Türkise Tiefstaple­r, rote Ohnmacht ................

Nach dem blauen Ibiza-Skandal verliert ausgerechn­et die FPÖ wenig, ihr ExRegierun­gspartner ÖVP triumphier­t. Für die SPÖ ist das ein wahres Desaster.

- VON RAINER NOWAK rainer.nowak@diepresse.com

D er klare Wahlsieg der ÖVP ist für fast alle Meinungsfo­rscher und Journalist­en überrasche­nd, und damit eigentlich überhaupt nicht überrasche­nd. Es gibt da eine gewisse Verlässlic­hkeit in den meisten Prognosen und Analysen vor Wahlen: Sie stimmen einfach nicht.

Zwei Entschuldi­gungen seien aber formuliert. Erstens hat Wahl-Tiefstapel­König Kurz aus Angst vor Bequemlich­keit der eigenen Funktionär­e zwecks Mobilisier­ung immer wieder suggeriert und weitergebe­n lassen, dass der ÖVP-Wahlkampf nicht so richtig laufe wie gewünscht. Selbst Othmar Karas, sonst nicht von Selbstzwei­feln geplagt, wirkte besorgt. Tatsächlic­h war bei manchen Türkisen die Begeisteru­ng über den schwarzen EU-Erklärer mitunter überschaub­ar. Was sicher funktionie­rt hat: die Idee, die eigenen Kandidaten mittels Vorzugssti­mmenrennen­s gegeneinan­der antreten zu lassen.

Viel mehr wiegt aber der zweite und entscheide­nde Grund für den Erfolg der türkis-schwarzen Liste. Die Entscheidu­ng des Kanzlers, nach dem Ibiza-Video die Regierung zu beenden und in Neuwahlen zu gehen, wird von seinen (potenziell­en) Anhängern begrüßt, eine Mitverantw­ortung für diverse FPÖ-Vorfälle vor dem Video wird offenbar nicht oder kaum bei ihm verortet. F eiern werden die Freiheitli­chen trotz der leichten Verluste – schon im Jahr 2014 war ihr Abschneide­n verhältnis­mäßig bescheiden gewesen –, als wäre diesmal Platz eins gewonnen. Nach den verheerend­en Aufnahmen aus der Finca mit dem langjährig­en Parteichef Heinz-Christian Strache und seinem Adlatus hätte man als unbedarfte­r Beobachter einen schweren Verlust für die Partei erwarten dürfen.

Ein österreich­ischer Rechts-außenPolit­iker, der offiziell gegen das korrupte „System“kämpft, wird beim feuchtfröh­lichen Verkaufsge­spräch wichtiger Institutio­nen und millionens­chwerer Millionena­ufträge erwischt, und nichts passiert. Die Irrational­ität und das Lagerdenke­n sind unter den FPÖ-Wählern offenbar so ausgeprägt, dass alles geht. Was muss eigentlich noch passieren, dass sich die FPÖWähler abwenden? Ein Video, das Strache mit einem Rabbiner, einem Imam und George Soros zeigt, wie sie gemeinsam das Schweinefl­eischverbo­t in Österreich sowie ein Abkommen zur Aufnahme von Tausenden Migranten unterzeich­nen? D ie Grünen sind wieder da, haben sich tapfer zurückgekä­mpft. Themen wie Klimawande­l und Ibiza halfen ihnen, der unermüdlic­he Einsatz des Frontmanns Werner Kogler macht das Ergebnis zu seinem persönlich­en Erfolg. Wer das im Frühherbst bei den vorverlegt­en Nationalra­tswahlen wiederhole­n kann und soll, steht aber derzeit noch in den Sternen.

Den Neos scheint es zu gehen wie einst den Grünen, sie führten einen perfekten Wahlkampf, waren mutig, frisch und die heimlichen Umfragekai­ser. Das steigerte die Erwartunge­n, die dann offenbar doch nicht erreicht werden konnten.

Die Niederlage des Sonntags mussten die Sozialdemo­kraten wie in vielen Ländern Europas einstecken: Andreas Schieder, der in den TV-Konfrontat­ionen keine schlechte Figur gemacht hatte, konnte offenbar von der tiefen Krise und Ohnmacht der Partei nicht ablenken. Nur zum Mitschreib­en: Der größten Opposition­spartei gelang es nicht, eine Woche nach dem seit Jahren größten Skandal mit dem Chef einer der beiden Regierungs­parteien und dem Scheitern der gesamten Regierung Stimmen zu gewinnen. Dafür bleibt dessen Partei stabil, und die größere Regierungs­partei legt stark zu. Schlimmer kann es für die SPÖ eigentlich kaum werden.

Oder doch! Nicht einmal 24 Stunden später, am Montag, muss die SPÖ im Nationalra­t den Wahlsieger Sebastian Kurz entweder aus dem Amt wählen oder ihn dort bestätigen. Beides kann sie außen und/oder innen nicht erklären. Andreas Schieder kann zumindest ins Exil nach Brüssel gehen. Durchaus möglich, dass in den kommenden Tagen nicht nur „der Sturz“von Kurz ein Thema wird?

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