Fassungslosigkeit in Rot
Platz 2. Für die SPÖ war es kein roter, sondern vielmehr ein schwarzer Sonntag. Die Partei von Pamela Rendi-Wagner fuhr laut der ersten Wahlbefragung ein Minus ein.
„Scheiß . . .“, entfährt es der jungen Frau, der aus Entsetzen gerade der SPÖ-Kugelschreiber aus der Hand gefallen ist. Es ist Sonntag, 17 Uhr – in dem Besucherzelt neben der Löwelstraße ist gerade die Wahlbefragung über die Bildschirme geflimmert – also die erste Richtungsbestimmung, wie die Parteien bei der EU-Wahl abgeschnitten haben. Dabei stoppte der rote Balken, der auf der Leinwand in die Höhe geschnellt ist, bei 23,5 Prozent. Diese Wahlbefragung weist statt des erhofften Zugewinns ein Minus von 0,6 Prozent aus. Das lässt die Gesichtszüge von einigen Genossen entgleisen, die fassungslos auf den roten Balken auf der Leinwand starren.
„Ich bin enttäuscht“
Eine davon ist Ex-Ministerin Eleonora Hostasch: „Ich bin enttäuscht“, meint sie frustriert zur „Presse“. Offenbar gebe es bei den Österreichern ein hohes Bedürfnis nach Sicherheit. „Wenn man dem Bundeskanzler nicht das Vertrauen ausspricht, dann . . .“, meint Hostasch in Anspielung an den Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz am heutigen Montag. Für den haben sich zahlreiche SPÖPolitiker, zuletzt der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil ausgesprochen. Er hatte seiner Parteichefin im „Presse“-Interview ausgerichtet: Die SPÖ müsse allein aus innerparteilichen Motiven den Misstrauensantrag gegen Kurz unterstützen. Daran führe kein Weg vorbei – die Funktionäre würden das fordern und eine andere Entscheidung nicht verstehen. Die Analyse Doskozils deckt sich mit der Stimmung der Genossen im Festzelt – offenbar aber nicht mit der Stimmung der Wähler.
„Kein überragender Erfolg“, lautete das trockene Kommentar des früheren SPÖ-Europaparlamentariers Hannes Swoboda. Man habe Platz zwei gehalten, „damit kann ich leben“. Trotzdem: Dass die SPÖ nicht von der Ibiza-Affäre profitieren konnte (immerhin haben nicht wenige enttäuschte FPÖ-Wähler früher einmal SPÖ gewählt), ist für Swoboda, der mit seiner Frau, der früheren SPÖStaatssekretärin Brigitte Ederer gekommen ist, ernüchternd. Seine Analyse: „Die Kommunikation muss verbessert werden.“Man dürfe nicht mehr nur auf die Fehler des ÖVP-Chefs hinweisen, sondern konstruktiv sein. „Es geht um die Frage, wofür die SPÖ steht und welche Visionen sie hat“, meint der langjährige SPÖ-Politiker.
Parteimanager Thomas Drozda versucht derweilen vor der Kamera zu erklären, was schwer zu erklären ist. Ein Ziel sei gewesen, die Wahlbeteiligung deutlich zu erhöhen. Das habe man geschafft, versuchte Drozda der roten Niederlage irgendeine positive Seite abzugewinnen. Diese Erklärung verfolgte die Wiener SPÖ-Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler mit versteinerter Mine.
Die Stimmung in dem SPÖZelt war bereits vor Veröffentlichung der Trendprognose nicht die beste gewesen – so als hätten die Genossen geahnt, was auf sie zukommt. Ein 86-jähriger SPÖ-Anhänger, der betont, immer SPÖ gewählt zu haben, meinte: „Ich hab überhaupt kein Gefühl, wie das heute ausgeht.“Seine Begleiterin assistiert: „Wir hoffen das Beste.“
„Kickl war ein guter Minister“
Hier, an der roten Basis, gibt es Unzufriedenheit – mit Sebastian Kurz. „Dass er Innenminister Herbert Kickl entlassen hat, das versteht keiner“, meint der Genosse, der 24 Jahre ein Taxigeschäft hatte. Dass seine Verordnung (nur mehr 1,50 Euro für Asylwerber, die arbeiten) von der Übergangsregierung zurückgenommen wurde, stört ihn: „Zivildiener und Soldaten bekommen auch nicht mehr.“Zum Misstrauensantrag am Montag sagt die Gruppe um den 86-Jährigen: Das müsse man machen.
Damit ist die Stimmung an der roten Basis klar. Wie Pamela Rendi-Wagner reagiert, ist offen. Vor allem, weil das Wahlergebnis ihre Position nicht gerade stärken wird.