Was der neue Premier leisten muss
Großbritannien. Boris Johnson wird voraussichtlich der neue Chef der Konservativen und der Regierung. Auf ihn warten viele schwierige Aufgaben.
London. Der britischen Politik stehen dramatische Tage bevor: Am Dienstag dürfte Boris Johnson als Gewinner aus der Wahl um die Parteiführung der Konservativen hervorgehen, am Mittwoch würde er dann zum Premier ernannt werden. An seinem Sieg besteht kaum Zweifel. Seine erste Aufgabe wird sein, den EU-Austritt umzusetzen. Doch das wird nicht die einzige Herausforderung.
Brexit
Johnson hat die Wahrscheinlichkeit eines No-Deal-Brexit zwar mit „eins zu eine Million“beziffert, zugleich aber klargestellt, dass er „hart auf hart“zu diesem Schritt bereit wäre. Er will die EU zu Änderungen des vorliegenden Abkommens bewegen. Vor allem die Auffanglösung für Nordirland („Backstop“) wollen die Brexit-Hardliner loswerden. Dass Brüssel neue Verhandlungen kategorisch ausschließt, wischt Johnson beiseite und stellt die Erfüllung der britischen Zahlungsverpflichtungen von 39 Milliarden Pfund infrage.
Regierung
Unmittelbar nach Johnsons Ernennung wird eine umfassende Regierungsumbildung erwartet. Er wolle „ein Team, das geschlossen an den Brexit glaubt“, kündigte er bereits an. Schatzkanzler Philip Hammond wird nur der prominenteste Minister sein, der auf die Hinterbänke des Unterhauses wechseln muss. Ein radikaler Umbau ist aber nicht ohne Risiko: Hammond etwa hat bereits angekündigt, im Parlament „alles zu tun, um einen No-Deal-Brexit zu verhindern“.
Parlament
Selbst mit der (wankelmütigen) Unterstützung der nordirischen DUP wird Johnson im Parlament eine Mehrheit von nur drei Mandaten haben. Das Unterhaus schob am Donnerstag mit einer Mehrheit von 42 Stimmen Johnsons Überlegung, das Parlament auf Zwangsurlaub zu schicken und so einen NoDeal-Brexit durchzusetzen, einen Riegel vor.
Neuwahlen
Johnson spekuliert offen über Neuwahlen. Man wolle die Gunst der Stunde nutzen, „solange Jeremy Corbyn noch unser Gegner ist“. Gegen den Labour-Chef rechnet sich Johnson zwar Chancen auf einen klaren Sieg aus. Aber Johnson hat die Konservativen zu einer so radikalen Brexit-Partei gemacht, dass sie in Gefahr ist, gemäßigte Wähler an die Liberaldemokraten zu verlieren.
Außenpolitik
Johnson wurde zum „am wenigsten erfolgreichen Außenminister“seit 1945 gekürt (Thinktank Chatham House), dennoch wird nach seinem Amtsantritt ein diplomatisches Furioso erwartet. Auch ein Abstecher nach Washington soll geplant sein, erhoffen sich die Briten von US-Präsident Donald Trump doch einen Megahandelsvertrag. Den britischen Botschafter in Washington, Kim Darroch, hat Johnson bereits geopfert.
Investitionen
Als Bürgermeister Londons (2008–16) liebte Johnson teure Projekte. Als Premier wird er über Infrastrukturvorhaben für Jahrzehnte entscheiden. Massive Staatsinterventionen werden nötig sein, um die Folgen eines NoDeal-Brexit aufzufangen, die Schatzkanzler Hammond auf 90 Milliarden Pfund beziffert. Johnson nennt die Kosten „verschwindend gering, wenn wir vorbereitet sind“.
Kriminalität
Johnson verspricht mehr Polizei und Härte bei der Kriminalitätsbekämpfung. Besonders in den Großstädten werden die Behörden der Gewalt nicht Herr. Allein in London wurden im Vorjahr 132 Menschen getötet. Über zehn Jahre Budgetkürzungen unter Tory-Regierungen spricht Johnson nicht.
Einwanderung
Seit dem Brexit-Referendum 2016 ist die Zuwanderung aus der EU auf einen Tiefstand gefallen, während die Einwanderung aus anderen Gebieten steigt. Johnson will ein Punktesystem einführen, „mit dem wir die besten Talente aus der ganzen Welt holen“.
Schottland
Nirgendwo ist Johnson so umstritten wie in Schottland, wo ihn die eigenen Parteifreunde verhindern wollten. 53 Prozent der Schotten wollen lieber das Vereinigte Königreich verlassen, als von einem Premier Johnson regiert zu werden. Für die schottischen Nationalisten ist sein Amtsantritt der Auftakt für die nächste Unabhängigkeitsbewegung.
„Always look on the bright side of life“
Nach den bleiernen May-Jahren verspricht Johnson, die Briten aus dem „Hamsterrad der Düsternis“zu führen. Ex-Spitzendiplomat George Walden: „Johnsons Anziehungskraft beruht auf zwei Dingen: patriotischer Nostalgie und der Illusion mühelosen Aufstiegs.“