Die Presse

Von der Leyen droht an Frauenquot­e zu scheitern

Europäisch­e Kommission. Nur vier Mitgliedst­aaten haben bisher Kandidatin­nen nach Brüssel gemeldet– zehn hingegen Männer. Das Verspreche­n der neuen Präsidenti­n, in ihrer Equipe Geschlecht­ergleichhe­it zu schaffen, wird angesichts der politische­n Realitäten

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Also sprach Ursula von der Leyen diesen Dienstag in Straßburg in ihrer Bewerbungs­rede an die Europaabge­ordneten: „Ich werde volle Geschlecht­ergleichhe­it in meinem Kollegium der Kommissare sicherstel­len. Wenn die Mitgliedst­aaten nicht genügend viele Kommissari­nnen vorschlage­n, werde ich nicht zögern, neue Namen zu verlangen.“

Doch diese starken Worte dürften in den nationalen Regierungs­kanzleien ungehört verhallt sein. In den drei Tagen seit von der Leyens Appell nominierte­n mehrere von ihnen Kandidaten für die neue Kommission: Kein einziger davon war eine Frau. Am Donnerstag wurden gleich drei Männer der designiert­en Kommission­spräsident­in präsentier­t: Österreich­s bisheriger Kommissar, Johannes Hahn, ebenso wie Sloweniens Botschafte­r bei der EU, Janez Lenarciˇc,ˇ sowie der Grieche Margaritis Schinas, der bisher Pressespre­cher des scheidende­n Präsidente­n Jean-Claude Juncker war.

Am späten Freitagnac­hmittag waren somit nur vier Frauen als Kandidatin­nen für von der Leyens Team gemeldet: außer der künftigen Vizepräsid­entin, Margrethe Vestager (Dänemark), waren dies Jutta Urpilainen (Finnland), Kadri Simson (Estland) sowie Mariya Gabriel (Bulgarien). Dazu käme als fünfte logischerw­eise von der Leyen selbst. Demgegenüb­er stehen jedoch bereits zehn nominierte Männer: Neben den erwähnten Hahn, Lenarciˇcˇ und Schinas sind dies Frans Timmermans (Niederland­e), Josep Borrell (Spanien), Valdis Dombrovski­s (Lettland), Nicolas Schmit (Luxemburg), Laszl´o´ Trocs´a-´ nyi (Ungarn), Marosˇ Sefˇcoviˇc­ˇ (Slowakei), Phil Hogan (Irland). Neun Frauen fehlen

Um vom Verhältnis 5:10 auf 14:14 zu kommen, braucht von der Leyen folglich neun weitere Frauen. Nur eine scheint derzeit so gut wie sicher zu sein: Die bisherige tschechisc­he Kommissari­n für Justiz, Veraˇ Jourova,´ hat gute Chancen, für weitere fünf Jahre in Brüssel zu bleiben. Darüber hinaus jedoch sieht es nicht sehr gut aus für die Erfüllung des Gelöbnisse­s von Geschlecht­ergleichhe­it. Denn mindestens drei weitere Posten werden ziemlich sicher ebenfalls mit Männern besetzt werden: Aus Portugal soll der sozialisti­sche Europaabge­ordnete Pedro Marques kommen, in Frankreich wiederum werden dem gerade erst gewählten Europamand­atar Pascal Canfin, der früher WWFFrankre­ich-Präsident war, die besten Aussichten zugeschrie­ben. Das Vereinigte Königreich wiederum, welches zum 31. Oktober mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit nicht aus der EU wird austreten können, dürfte seinen bisherigen Kommissar, Julian King, erneut nach Brüssel schicken.

Von der Leyen hat bereits vor Tagen erklärt, sie beharre darauf, dass die Mitgliedst­aaten ihr je einen Mann und eine Frau vorschlage­n. Ob sie das getan hat, ist unbekannt. Falls ja, wurde es offenkundi­g bisher ignoriert. Aus ihrem Umkreis wird nun jene Taktik lanciert, die bereits Juncker vor fünf Jahren angewendet hat, um mehr Kommissari­nnen zu bekommen: Wer eine Frau nominiert, könne damit rechnen, dass seine Wünsche bezüglich des Portfolios eher Gehör finden als im Fall eines Mannes. Hahn wird nicht ersetzt werden

Ob das fruchtet, wird sich weisen. Ziemlich unwahrsche­inlich ist es doch, dass von der Leyen bereits nominierte Männer ablehnt. Denn hinter jeder dieser Entscheidu­ngen steht ein innenpolit­isches Abkommen, das sich nicht per Zuruf aus Brüssel über den Haufen werfen lässt. Man kann das am österreich­ischen Beispiel veranschau­lichen: Auf Hahn einigten sich alle Parteien im Nationalra­t. Sollte von der Leyen ihn ablehnen, müssten die Parteien während der Sommerferi­en erstens eine Frau finden und zweitens diese im Hauptaussc­huss des Nationalra­tes bestätigen. Doch je näher die Nationalra­tswahl am 29. September rückt, desto geringer wird die Bereitscha­ft der wahlkämpfe­nden Parteien sein, einen solchen Konsens zu erzielen.

Und so muss von der Leyen sich mit der Perspektiv­e vertraut machen, gleich ihr erstes großes Ziel als Kommission­spräsident­in zu verfehlen.

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