Mit fossilen Fischen den Klimawandel deuten
Warum sind die über Jahrmillionen evolutionär so erfolgreichen pycnodonten Fische ausgestorben? Jürgen Kriwet von der Uni Wien löst das alte Rätsel mit neuen Verfahren – und kommt dabei zu überraschenden Einsichten.
Seine Regale zieren furchteinflößende Gebisse, von oben grüßt ein komplett konservierter Haifisch, und in den Reagenzgläsern leuchten bläulich-fahl die Embryos von Haien: Der Arbeitsplatz von Jürgen Kriwet am Institut für Paläontologie der Uni Wien verrät rasch das liebste Objekt seiner beruflichen Leidenschaft. Aber in seinem aktuellen, vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt widmet sich der
Dabei fallen enorme Datenmengen an, die sich anders als früher in Hochleistungsrechnern verarbeiten lassen. Was zu überraschenden Ergebnissen führt, die in Zeiten der Klimakrise von hoher praktischer Relevanz sind.
Aber der Reihe nach: Die pycnodonten Fische legten eine tolle evolutionäre Karriere hin. Sie überstanden 175 Millionen Jahre lang alle Stürme der Erdgeschichte und kamen zu ihren besten Zeiten auf 650 Arten weltweit. Aber dann ging es bergab, die Artenzahl sank drastisch. Als vor 66 Millionen Jahren ein Meteorit in Mexiko einschlug, die Dinosaurier auslöschte und auch den Meeresbewohnern zusetzte, waren die Pycnodontier laut Kriwet schon „so geschwächt“, dass sie von nun an als „todgeweiht“gelten konnten. Vor rund 50 Millionen Jahren verschwanden sie ganz. Dafür vermehrten sich ihre Schwestern, die echten Knochenfische – so massiv, dass sie heute mit 96 Prozent der Arten die alles dominierende Fischgruppe sind. Im liebsten Lebensraum der Ausgestorbenen, den Riffen, kamen die Korallenfische auf, denen sie äußerlich ähnelten. Haben die Neuen die Alten verdrängt? Davon ging man aus. Aber für Kriwet ist die These widerlegt. Es gibt eine zeitliche Lücke von mehreren Millionen Jahren, und wie die Zähne zeigen, war die Ernährung von Korallenfischen und Pycodontiern anfangs unterschiedlich: „Man vergleicht also Äpfel und Birnen.“
Als mögliche siegreiche Konkurrenten boten sich bisher noch zwei ältere Gruppen an. Aber auch sie konnten Kriwet und sein Projektmitarbeiter John Joseph Cawley als Ursache ausschließen. Wie? Sie erstellten eine Datenbank mit Eigenschaften der Fossilien: die Form der Zähne, Kiefer oder Körper. All das zeigt an, wovon sich die Fische ernährten. In einem Koordinatensystem bekommt dann jede Art einen Punkt zugewiesen. Sämtliche Arten einer Gruppe bilden eine Fläche, den „Morphospace“. Es zeigt sich: Für keinen Zeitraum, in dem die drei Gruppen gemeinsam die Weltmeere bevölkerten, überschneiden sich ihre Flächen. Sie waren auf unterschiedliche Nahrung spezialisiert, vermieden also die Konkurrenz.
Auch in der Savanne besetzen verschiedene Raubtiere oft verschiedene Nischen, um sich nicht die Beute streitig zu machen. Im Meer gilt das konsequenter als an Land: „Die Fische gehen sich aus dem Weg.“Warum aber sind die pycnodonten Fische dann ausgestorben? Zu ihrer Blütezeit vor 100 Millionen Jahren war es auf der Erde sehr warm, und im Meer herrschten „wunderbare Lebensbedingungen“: Über 20 Grad Wassertemperatur und, dank überschwemmter Landgebiete, viele „flachmarine“Bereiche, in denen sich Fische meist wohler fühlen als in der Tiefsee. Dadurch konnten sich die Arten stark diversifizieren, auch bei Haien und Echsen. Kühlte das Wasser ab, ging das Vorkommen der Pycnodontier zurück, wie
sind die mit Abstand artenreichste Gruppe der Wirbeltiere, deren heute noch lebenden Vertreter – mit Ausnahme der Neunaugen – sich allesamt aus diesen Meeresbewohnern entwickelt haben. Die ersten fossilen Zeugnisse der Knochenfische sind über 400 Millionen Jahre alt, schon damals hatten sie sich in zwei Klassen, Strahlenund Knochenfische, aufgespalten. Aus Letzteren, die heute nur noch acht Arten zählen, entwickelten sich schließlich die ersten landlebenden Wirbeltiere. Kriwet in einer Studie anhand einer Art gezeigt hat. Das Aussterben der ganzen Gruppe fällt annähernd mit einer starken Abkühlung zusammen. Fazit: Das Klima ist wichtiger als die Konkurrenz.
Was bedeutet das für den heutigen, vom Menschen verursachten Klimawandel? In der Tendenz sieht Kriwet die steigenden Wassertemperaturen für Fische als positiv: größere Populationen, mehr Artenvielfalt, was für einen „gesunden Lebensraum“sorge. Problematisch sei freilich, dass die Korallenriffe zurückgehen. Auf lange Sicht dürften zwar Schwammriffe sie ablösen, aber das hilft in menschlichen Zeiträumen wenig. Was auch generell gilt: Die Bewohner der Meere können sich in einem langen Prozess anpassen und am Ende profitieren. Aber für eine Generation von Anwohnern eines bestimmten Küstenstreifens kann der Klimawandel sehr wohl die Lebensgrundlagen zerstören.
Nicht den Kopf zerbrechen müssen wir uns laut Kriwet darüber, dass schon über 100 Arten aus dem Indopazifik über den Suezkanal ins Mittelmeer eingewandert sind, wo es sie bisher nicht gab. Denn seine Studien legen nahe: Die Fische kommen sich nicht in die Quere – anders als Tiere und Pflanzen auzf dem Land, wo eingeschleppte invasive Arten die Ökosysteme oft gewaltig durcheinanderbringen.
Wenn es künftig mehr Fische gibt, könnte sich auch eine wachsende Weltbevölkerung stärker von ihnen ernähren – und dafür auf Fleisch verzichten, dessen Produktion Treibhausgase verursacht. Freilich darf der Mensch die Meere nicht so leer fischen, dass er damit Arten vernichtet. Fangquoten, erklärt Kriwet, hätten sich etwa beim Kabeljau gut bewährt, „hier haben sich die Bestände gut erholt“. Viel unsicherer ist die Erholung für den bereits massiv dezimierten Roten Thunfisch. Wenn der Mensch als oberster Räuber die Vielfalt verringert, kann es zu Kaskadeneffekten bis hinunter zu Algen und Plankton kommen. Wir dürfen nicht hoffen, dass sie gut ausgehen.